Aus meinen Überlegungen zur Partizipation als künstlerische Strategie ergibt sich die Annahme, dass die Teilhabe am Produktionsprozess im Modus der Kollaboration gegenüber Kooperationen und der Interaktion ein Ausnahmefall darstellt. Mit „Zita – Щapa“ von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow begegnet dem Betrachter eine solche Ausnahmearbeit.
Von Katharina Fritsch stammt die einprägsame Devise, dass der Künstler „doch immer schön zwischen den Stühlen sitzen sollte.“ Diesem Credo, 2003 in einem Interview gegenüber Kunstforum geäußert, ist sie politisch und gestalterisch bis heute treu geblieben. Ihr blauer Hahn bis 2015 achtzehn Monate auf der „Fourth Plinth“ des Londoner Trafalgar Square entfachte Kontroversen. War mit dem Gockel der Erzrivale Frankreich auf den Sockel gehoben? Oder eitles Männlichkeitsgebaren kritisch exponiert? Fritschs Skulpturen und Environments können eingängig, ja populär wirken. Doch sie entpuppen sich bei näherem Besehen als abgründig und unbequem. Das gilt auch für die merkwürdige Inszenierung „Zita – Щapa“, ein skulpturales „Kammerstück“ das sie mit ihrem jungen Kollegen Alexej Koschkarow entwickelte.
Merkwürdig ist die Setzung bereits dadurch, dass die Leitung des Schaulagers abermals von ihrer Programmatik abwich, die umfassende Einzelausstellung eines Gegenwartskünstlers zu präsentieren. Für 2018 ist in Kooperation mit dem MoMA eine Bruce Nauman-Retrospektive geplant, die zuerst in Münchenstein und dann erst in New York gezeigt wird. Wie die Künstlerin in einem Gespräch zur Auskunft gab, war sie überrascht, als sie das Angebot für die verhältnismäßig kleine, für Schaulagerverhältnisse intime Ausstellung bekam, nachdem sie von ihrem Projekt mit dem 1972 in Weißrussland geborenen Kollegen erzählte. Zwei Mal vorher hatten sie bereits Ausstellungen miteinander durchgeführt, zuerst 1999 im Rahmen des Siemens-Kulturprogramms „Damenwahl“ in der Kunsthalle Düsseldorf, dann 2012 den zweiten gemeinsamen Auftritt in der Düsseldorfer Galerie Rupert Pfab, aus dem Koschkarows Frottage Höllentor und das zoomorphe Architekturmodell Schtetl (beide 2012) stammen. Beide wurden durch die Emanuel-Hoffmann-Stiftung erworben und fanden – wohl auch als Initianten der erneuten Kollaboration – Eingang in die aktuelle Ausstellung.
Nun empfangen den Besucher auf der Fassade des Schaulagers über die werbenden LED-Wände auf- und abgeblendet zwei gewaltige heraldische Adler, schwarz-weiße Frottagen, die im Original im Inneren vorgeführt werden, hier jedoch ihre ursprüngliche architektonische Funktion der Darstellung imperialer Macht zurückerhalten.
Koschkarows Wappentier präludiert draußen ein vielschichtiges Spiel, das drinnen im Echoraum der beiden dauerhaft im Schaulager gezeigten Installationen, Robert Gobers Untitled (1995-1997) und Fritschs Rattenkönig (1993), sich entfaltet. Dazu bekamen Fritsch und Koschkarow die gesamte Ausstellungsfläche im Erdgeschoß freigeräumt. Sie platzierten im Geviert der acht grauen Betonstützen des zum Foyer und Lichthof hin offenen 1.600 Quadratmeter großen Saals einen fensterlosen Raum im Raum. Lediglich ein Eingang führt in der zentralen Achse in den dreigliedrigen, sakral anmutenden Einbau, der über einen funktionalen White-Cube hinaus als Schrein jenen Ort markiert, an dem sich, ikonologisch durch Loreto-Kapellen präfiguriert, qua Transformation und Translokation Heilsgeschichte (mit-)vollzieht (siehe Kunstforum Bd. 240, S.45-47).
Tatsächlich hat der Besucher von „Zita – Щapa“ schon vom Titel her ein Hinweis auf das subkutane Heilsversprechen der Inszenierung. Denn Zita, strukturell dem Part Katharina Fritschs zuzuordnen, ruft als Abkürzung des lateinischen Namens Felicitas Teilhabe an Glück, Fruchtbarkeit und Seelenheil herauf, während Щapa, der Name eines weißrussischen Nebenflusses der Memel allegorisch als (deren) Quell interpretiert werden darf.
Wie zu erwarten, steht in den drei Kabinetten nichts zur Adoration bereit, nichts, was auf den ersten Blick für ein Heilsversprechen stünde, geschweige dieses einzulösen in der Lage wäre: Schon vor dem Eintritt in den 140qm-Einbau waren Fritschs drei gelb leuchtende, unheimlich gesichtslose Figurinen Puppen (2016) zu sehen, in einem aufwendigen Verfahren auf Betrachter-Größe modellierte Strohpüppchen osteuropäischer Provenienz, die erstarrt und stumm penetrant ihren häuslichen Tätigkeiten nachgehen. Kehrt sich der Besucher von ihnen ab, wird er Koschkarows überdimensionierte, in der Explosion barock erstarrte Handgranate aus hübsch weiß-glasiertem Ton erblicken, aus der nicht nur ein Ofenrohr bis in die Decke in sechs Meter Höhe starrt, sondern auch eine geöffnete Ofenklappe, hinter der ein gemütliches Theater-Feuerchen knistert, das das Oxymoron des Werktitels Kalter Ofen (2016) plausibel macht. Von hier geht es rechts oder links in die etwas kleineren und niederen Nebenräume, der eine von Fritsch, der andere von Koschkarow gestaltet, wobei sich Fritschs abstrahierender Reduktionismus – sie zeigt weiter lediglich einen auf signalroten Böcken gestellten ultramarinblau leuchtenden Sarg (2016) noch stärker als zu Beginn von Koschkarows Allegorien, die kleinteiligen Archiskulpturen Das was keinen Namen hat (2016) und Schtetl (2012) und den Frottagen im gegenüberliegenden Raum absetzen.
Beide Künstler haben beim gleichen Professor, Fritz Schwegler, in Düsseldorf studiert. Beide setzen auf eine hohe handwerkliche Präzision. Beide pflegen einen bisweilen hermetisch-ironischen konzeptuellen Realismus. Doch vor diesem Hintergrund könnten ihre Ausdrucksmittel und -formen unterschiedlicher kaum sein. Sprechen sie überhaupt die gleiche Sprache, damit ein „Kammerspiel“ zustande kommen kann?
Doch solange sich der Besucher auf Fritschs und Koschkarows Bühne bloß als Zuschauer und Statist und nicht als eigentlicher Akteur begreift, werden die aberwitzigen Figuren, Objekte, Szenografien schweigen. Das fasziniert: Erst als Kollaborateur wird er erfahren, wer in Fritschs Sarg symbolisch aufgebahrt liegt. Ist es Zita etwa, die letzte Habsburgerkaiserin? Ihr Herz wurde 1989 nur wenige Kilometer entfernt in der Loreto-Kapelle des aargauischen Klosters Muri bestattet. Oder er entdeckt, wessen Phantasien mit Korschakows stahlhelmbewehrten Miniaturmuskelmädchen bedient werden. Sind es nur die Nachtmare der Ostfrontkämpfer zweier Weltkriege? Die vormals stumme Kuriosen-Kammer beginnt nun zu sprechen und erzählt jedem, der dazu bereit ist, ihre Geheimnisse und Geschichten.
Der Text erschien zuerst in der Print- und Online-Version von Kunstforum international Bd. 242, Köln 2016
Publikation zur Ausstellung Zita – Щapa. Kammerstück von Katharina Fritsch und Alexej Koschkarow mit Texten von Julian Heynen, Jacqueline Burckhardt, Robert Fleck und Michael Rooks hrsg. Laurenz-Stiftung, Schaulager, Basel 2016; 167 Seiten, 28,00 CHF.