Kurz vor Schluss: Matthias Lilienthal

Matthias Lilienthal setzt auch in seiner letzten Runde am HAU-Theater auf bildende Kunst: Am kommenden ersten  Juni-Wochenende eröffnen kurz vor der dOCUMENTA 13 15 Pavillons auf dem Tempelhofer Feld zur „Großen Weltausstellung“. Wir hatten ihn für das Stadtmagazin zitty im Mai befragt.

Im Sommer wird Matthias Lilienthal das Hebbel am Ufer (HAU), die drei Theater am Kreuzberger Landwehrkanal verlassen, die er seit 2003 geleitet hat. In einer Zeit, in der, wer kann, an seinem Pöstchen kleben bleibt, gehört es für den Leiter des „Theaterkombinats“ Hebbel am Ufer fast schon zum guten Ton, seinen Intendantenstuhl zu räumen, bevor die Zehnjahresfrist verstreicht. Bereits 2010 hatte er angekündigt, dass er seinen Vertrag nicht verlängern wolle. Jetzt beginnt seine letzte Spielzeit.

Seinen Abschied bedauern nicht nur Freunde des internationalen Theaters und der Performance, sondern auch der bildenden Kunst. Denn Lilienthal gelang, was im deutschen Staats- und Stadttheater Seltenheitswert besitzt: den engen Produktionsrahmen der Bretter, die immerhin die Welt bedeuten wollen, auch für Gattungsgrenzgänger attraktiv zu machen und bildende Künstler von Rang an sein Haus zu binden. „Sicher spielen die Genregrenzen für das Publikum nach wie vor eine große Rolle,“ erklärt Matthias Lilienthal in einem Hintergrundgespräch im Dezember letzten Jahres, „aber für Künstler wie Tim Etchells, Meg Stuart oder Harun Farocki sind die Arbeitsfelder so nicht abgesteckt.“ Doch ist es für das Publikum nicht selbstverständlich, statt in die Black Box des Theaters in den White Cube der Kunst zu sehen.

Lilienthal, 1959 in Berlin geboren, ab 1988 für drei Jahre Dramaturg in Basel, wechselte 1992 an die Volksbühne, wo er Christoph Schlingensief ans Haus holte. Vor seiner Intendanz an den Kreuzberger HAU-Theatern war er unter anderem als Leiter des Festivals Theater der Welt unterwegs. „Man findet die Sachen nebenan oft spannender als die eigenen“, sagt Lilienthal. So entwickelte er Jan Hoets „Chambre d’amis“, für das 1986 in Gent erstmals Kunst in privaten Wohnungen produziert und öffentlich präsentiert wurde, weiter zu einem Format für den performativen Bereich. „X-Wohnungen“ fand erstmals 2002 in Duisburg statt.

Lilienthal wird dieses Konzept nach seinem Abschied vom HAU 2012 in New York umsetzen. Dabei wird endlich der Konzeptkünstler Liam Gillick sein, der 2009 den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale mit Wandschrank ähnlichen Raumstrukturen gestaltet hatte. Doch nicht auf alle Anfragen erhielt Lilienthal Zusagen. Matthew Barney sagte ihm für eine große Berlin-Revue ab. Auch für die außerordentliche Interactive-Media-Truppe Blast Theory aus Brighton fehlte eine gemeinsame Arbeitsgrundlage.

Ein Glücksfall war für ihn die Zusammenarbeit mit dem in Berlin lebenden Künstlerduo Janet Cardiff und George Bures Miller. Mit ihnen produzierte er 2005 den Video-Walk „Ghost-Machine“ im Hebbel-Theater, am ehesten ein Hörstück, für die meisten Besucher ein geniales Dazwischen aus Theater, Kunst und Kino. Vergangenes Jahr stellten Cardiff und Miller ein begehbares klingendes Narrenschiff vor dem Theater am Kanal auf. 2008 und 2011 veranstaltete Lilienthal das Festival „Art into Theater“. Im Windschatten von Hans-Ulrich Obrists „Il Tempo del Postino“ in Manchester und der New Yorker „Performa-Biennale“ lud er dafür Künstler wie Keren Cytter, Tino Sehgal und Thomas Demand ein, in seinen Theatern mit Installationen und Performances zu gastieren.

Wie nachhaltig diese Begegnungen waren, wird sich zeigen. Erst mal feiert Lilienthal lilienthal-typisch rauschend Abschied. Ein Höhepunkt findet bereits im Januar statt, wenn die estnische Performerin Ene-Liis Semper gemeinsam mit dem Theater No99 und dessen Direktor Tiit Ojasoo in einem Beuys-Reenactment erläutert, „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“. Und keiner in der Fan-Gemeinde darf sich im Juni „Die große Weltausstellung“  mit 15 Pavillons auf dem Tempelhofer Feld entgehen lassen, und die 24-Stunden-Überforderungs-Performance „Unendlicher Spaß“ nach einem 1.500-Seiten-Roman von David Forster Wallace. In der bespielt eine Kernmannschaft aus Lilienthal-Kombattanten abgelebte Lokalitäten West-Berliner Sehnsuchts-Architektur wie den Steglitzer Bierpinsel.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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