Auf der Höhe der Zeit – Sebastian Baumgarten stellt Brechts Heilige Johanna der Schlachthöfe auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses zur Diskussion
Brechts Die heilige Johanna der Schlachthöfe hat Konjunktur. Zwar ist sie, 1932 als Hörspiel, 1959 auf der Bühne uraufgeführt, schon über ein halbes Jahrhundert entrückt. Aber in Zeiten von Bankenkrise, Raubtierkapitalismus und auf der Suche nach Heilsgewissheiten erwartet man von ihr immer noch Handlungsformate und Anleitung zur Reflexion auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Falschen.
Daher steht sie gerne wieder auf Theaterspielplänen, die Zeitgenossenschaft signalisieren wollen. So auch im Zürcher Schauspielhaus, das sich bei einem beliebig profillosen Spielplan mit der brechtschen Johanna ein paar Hipness-Punkte abholen wollte. Damit diese noch etwas zahlreicher ausfallen würden, setzte man mit Sebastian Baumgarten, 1969 in der Hauptstadt der DDR geboren, zusätzlich auf eine Ost-Biografie, die zudem authentischen Brechtgeruch an den Pfauen mitbringen kann – hatte er doch, wie im Programmheft betont wird, bei Ruth Berghaus, einer Brechtschülerin, assistiert. Dass man dabei seinen zweiten Lehrmeister, Einar Schleef, kurzerhand auch zu einem Brechtschüler macht, ist dann eine intellektuelle Fahrlässigkeit, die diese Tendenz zum billigen Marketing noch unterstreicht.
Dass Baumgarten am Zürcher Schauspielhaus trotz dieser flauen Winde eine respektable Inszenierung gelingen würde, war nun nach seinem leichtfüssigen Labiche im Schiffbau zu erwarten. Doch dass er diese Erwartung bei weitem übertraf, überraschte dann doch. Denn, was man in Zürich nur in Ansätzen bei Frank Castorf und René Pollesch gesehen hat und in der Intendanz von Barbara Frey sonst gänzlich vermisst, ist in Bachmanns Johanna vorzüglich gelungen: eine solide Ensemblearbeit, vor der sich Ausnahmetalente wie Markus Scheumann als Mauler und Yvon Jansen als Titelheldin abzuheben vermögen, ohne dumm aus der Reihe zu fallen, wie das sonst am Pfauen die Regel ist.
Allein schon darum gebührt Bachmann die Palme. Dass er dazu mit dem Bühnenbild von Thilo Reuther state of the art produziert und obendrein dem Brechtschen Text etwas abgewinnen kann, Humor zeigt und nicht klüger sein will, als die Vorlage, ist nichts weniger als intelligent und vergnüglich. Chapeau!
Rezensionen zu Sebastian Baumgartens „Die Affäre Rue de Lourcine“ im Zürcher Schiffbau im Februar 2011 unter
http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/menschen-die-mit-turen-schlagen
Und Nicolas Stemanns „Heilige Johanna der Schlachthöfe“am Deutschen Theater Berlin im Dezember 2009
http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/die-plastiktuten-der-frau-luckerniddle