Das Zürcher Museum Haus Konstruktiv widmete dem St. Galler Ausnahmekünstler Klaus Lutz in diesem Sommer posthum eine Retrospektive. Eine Nachbetrachtung.
Am Ende des Dokumentarfilms The Beauty of My Island (1999) von Frank Matter – der einzige, der über den Schweizer Zeichner, Filmer und Performer Klaus Lutz entstanden ist, – stiehlt sich der Künstler, der nach einer kurzen Performance die Requisiten in ein Köfferchen gepackt hatte, hoppelnd aus dem Bild, als wolle er bedeuten, „Entschuldigung, ich gehöre nicht hierher.“ Im Betrieb ist er nie angekommen. Einmal da, machte er sich auf und davon. 1999 hatte Klaus Lutz im Zürcher Helmhaus eine umfassende Werkschau. Doch der hagere St. Galler, Jahrgang 1940, geriet auch schnell wieder in Vergessenheit, nachdem er in sein winziges Wohnatelier in New Yorker zurückgekehrt war. Dort lebte er seit Anfang der 1990er Jahre, kurzzeitig mit Atelierstipendien der Stadt Zürich ausgestattet. Ab und an gab es Ausstellungen, so in Galerien von Laurie De Chiara, die ihn 2003 auch in Berlin zeigte, 2005 bei Staubkohler und deren Nachfolger, der Galerie Rotwand in Zürich. Doch die erhoffte Resonanz blieb aus.
Als die Veranstalter des Toronto International Film Festivals 2009 die Vorführung seines dreizehnminütigen 16mm-Films Titan prominent auf den 11. September platzierten, verstarb Klaus Lutz einen Tag vor seiner Abreise. Dass Klaus Lutz nach seinem Tod nicht der Vergessenheit anheimfiel, ist einem Verein zu verdanken, der mit der Zürcher Galerie Rotwand die Nachlassverwaltung übernommen hat. Die Retrospektive Klaus Lutz – Im Universum im Zürcher Museum Haus Konstruktiv tat in diesem Sommer ein Übriges, den Ausnahmekünstler einer breiten Öffentlichkeit in Erinnerung zu rufen .
Klaus Lutz zählt zu jenen Spätberufenen, die schließlich ihre Berufung mit Zähigkeit und Eigensinn verfolgen. Den Schriftsteller Robert Walser wählte er nicht ohne Grund als zentrale Bezugsgröße. Nach einem abgebrochenen Architekturstudium in Zürich trat Lutz 1963 – er hatte eine Familie zu ernähren – eine Stelle als Primarschullehrer in Graubündner Käffern an. Neun Jahre später quittierte der den Schuldienst und zeigte erstmals kleinformatige Kaltnadelradierungen und Kupferstiche nach Prosastücken von Walser, die in Leporellos zusammengebunden werden. Die Drucke begleiten keinen Text. Sie scheinen einem Storyboard näher als der Buchillustration, und tragen die Anlage zum Film, der ab 1987 sein eigentliches Medium wird, bereits in sich. Zum Beispiel entwirft Lutz nach Walsers Erzählung Das Ende der Welt (1972) dreißig kleinformatige, fiebrig schwingende Miniaturen, die zwar im Spielerisch-Ornamentalen das Vorbild Paul Klee verraten, jedoch in der zentralen Figur des Mädchens auf der Suche nach dem Ende der Welt und seinem von Blatt zu Blatt wechselnden Kontext die existenziell-eschatologische Tiefe seines Referenztextes grafisch auslotet. Auch weil diese für das künstlerische Selbstverständnis Klaus Lutz` wichtige Arbeit im Internet abrufbar ist (www.das-ende-der-welt.ch), konnten in der Zürcher Ausstellung für die frühe Werkphase vergleichbare Kaltnadelradierungen wie Das Götzenbild (1972) mit dreizehn Drucken oder die 52 x 78 cm große Arbeit Eine Stadt (1974) stehen. Ihr szenografischer Aufbau, die Liebe zum Detail und die Sorgfalt in der Ausführung weisen Jahre voraus. Auch der Filmemacher Klaus Lutz betreibt die Zeichnung als eigenständiges Medium, genauso wie sie neben ihrer Funktion als Ideenskizze, Drehbuch oder Protokoll unmittelbar in die filmische Arbeit eingeht.
So lud die über drei Geschosse großzügig arrangierte Ausstellung den Besucher im zweiten Stock in den Palazzo Zu (2007) , eine begehbare Installation, die den Betrachter unmittelbar in die Zeichenwelt des Künstlers eintauchen ließ. Zweiunddreißig Blätter mit rotem und schwarzem Grund waren zu einem von einer Seite zugänglichen rechteckigen Raum in den Raum gehängt. Wie der Protagonist in Lutz` Filmen, war der Betrachter aufgefordert, die dort versammelten Zeichen zu lesen und zu interpretieren.
Unbestritten ist, dass Klaus Lutz Reibung und Auseinandersetzung kaum in der zeitgenössischen New Yorker Kunstszene fand, mehr in der Literatur und Philosophie, Walser, Frege, Wittgenstein. Sicherlich war sein künstlerisches Schaffen beseelt davon, eine Sprache zu schaffen, die das Imperfekte und Hierarchische der alphabetischen Sprache hinter sich lässt. Klaus Lutz lernte daher Chinesisch, beschäftigte sich mit frühen Hochkulturen. Die Arabesken in Palazzo Zu lassen sich durchaus als Schriftzeichen eines künstlerischen Idiolektes deuten. Als zweifelhaft dürfte allerdings die im Katalog von Martin Jaeggi in Aussicht gestellte Möglichkeit eingeschätzt werden, das Werk von Klaus Lutz zu „entziffern“ – man stieße hier bereits methodologisch früh an Grenzen. Ein Desiderat bleibt jedoch die inhaltliche Auseinandersetzung.
Ein Schwerpunkt der Zürcher Ausstellung lag auf dem filmischen Werk, das er ab 1987 bis zu seinem Tod entwickelt. Der hohe Erdgeschosssaal entführte den Besucher zum Auftakt unvermittelt in eine Black Box, in der drei 16mm-Projektoren im Loop Sequenzen aus den Filmen Mach (1989), Caveman Lecture (2002), Vulcan (2004), auf eineinhalb Meter große Ballons auf Stativen, eine Konstruktion des Künstlers, projizierten. Sie mögen entfernt an Georges Mélies oder die Dokumentarmontagen Dziga Vertovs erinnern, doch sie sprechen dabei ihre ureigene Sprache. Wo immer möglich, begleitete Lutz die Filme mit Performances, ein Moment das in Zürich selbstredend fehlte, jedoch für seinen transgressiven Ansatz entscheidend ist. Jedes Moment der Arbeit will von ihm bestimmt sein. Er bastelt an den Linsen, ist Drehbuchautor, Kameramann, Set-Designer, einziger Hauptdarsteller und Cutter. Er beharrt auf die analoge Apparatur.
Klaus Lutz schafft damit einen eigenständigen cineastischen Kosmos, dessen Narrative von Weltbezwingern, Titanen, Ballonfahrern und Flugkapitänen bevölkert werden. Ironie und Ernst, Verausgabung und Hingabe, kindliche Freude und Sendungsbewusstsein gehen bei Lutz Hand in Hand. Das will mehr sein als Budenzauber. Dass sich dies einlöst, hat die Zürcher Ausstellung auf eindrucksvolle Weise gezeigt.
Katalog zur Ausstellung im Kehrer Verlag: Klaus Lutz, Im Universum, Hrsg. Dorothea Strauss, Stiftung für konstruktive, konkrete Kunst, Museum Haus Konstruktiv, vom 31. 5. – 2. 9. 2012, 175 Seiten, divers. Abbildungen, Zürich 2012