Berlin ist zu groß, als dass es die Spuren des zweiten Weltkrieges bis heute hätte tilgen können. Heute vor 69 Jahren ging der zweite Weltkrieg mit dem Inkrafttreten der Bedingungslosen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht um 23:01 MEZ zu Ende.
Knapp zwei Jahrzehnte später wurde ich in Stuttgart geboren. Die Spuren des Krieges in der Stadt waren für das Kind bis dahin vollständig getilgt. Es gab den „Montescherbelino“, einen Trümmerberg am Rand der Stadt. Dass sich in ihm die Trümmer als Zeichen des Leids aus unsagbarer Hilflosigkeit und humaner Verkommenheit türmten, blieb mir damals verborgen. Man hatte die Stadt aufgeräumt. Mehrspurig zerfurchten zwei Bundesstrassen die Ränder des wiederaufgebauten Altstadtkerns, wie um bei der nächsten Katasthrophe schneller aus dem Stuttgarter Kessel rauszukommen.
Zerschossene Haussfassaden, Brachen und Trümmer sah ich dann erst im Berlin der 1980er-Jahre. Auch hier hatte man beriets gründlich aufgeräumt, doch es gab sie noch, die Behelfsdächer, blinde Fensterhöhlen, Bürgerhäuser, die bis auf die zwei ersten Stockwerke abrasiert waren. In nahezu jedem Stadtteil des inneren S-Bahnrings konnte man noch bis in die 1990er-Jahre an den Einschlagslöchern der Gewehrsalven rings um Hinterhausfenster die Standorte der gegnerischen Schützen rekonstruieren.
Damit ist heute vorbei. Und doch gibt es sie, die unmittelbaren Spuren des Krieges, die der urbanistischen Geschichtsklitterung entgangen sind. Neben zerschossenen Klinker- und Sandsteinfassaden, die der Eigentümer meist aus Kostengründen nicht sanierte, sind dies diskrete Zeugnisse von der Stadt im Kriegszustand, die schlicht, weil es zu aufwendig gewesen wäre, sie zu beseitigen noch abzulesen sind und von denen heute ohnehin kaum einer ahnt, dass sie von Gewehrkugeln und Granaten herrühren.
Um sie zu entdecken, empfiehlt es sich seine Aufmerksamkeit auf die granitenen Fussgängerplatten auf den Bürgersteigen der Innenstadtquartiere zu lenken. Man entdeckt sie schnell, die Narben, die während des Krieges durch Geschosse ins Gestein geschlagen wurden. In der Gleisunterführung der Windscheidstrasse in Charlottenburg erzählen allerdings die historischen Stahlstützen eine eigene Geschichte. Obwohl ich in dieser Gegend schon fast dreißig Jahre wohne, war mir erst vor kurzem aufgefallen, dass eine Stütze in der Mitte der Unterführung merkwürdig deformiert ist. Als wäre er Butter war eine kinderballgroße Halbkugel in den Stahl gedrückt, das Metall so verbogen, dass eine Niete nach hinten gedrückt worden war. Die Wahrscheinlichkeit, dass hier eine verirrte Panzerfaust einschlug, liegt nahe. Untersucht man anderen Stützen finden sich praktisch an jeder beidseitig Einschusslöcher – Zeugnisse einer wohl kurzen, doch dramatischen Episode im „Endkampf“ um die Haupstadt des deutschen Reiches.