The Artist is Un-Present | Ed Atkins in der Zürcher Kunsthalle

P1140737„Troll“ auf der Brust, „FML“ auf der Stirn. Seine Botschaften hat der markige Zeitgenosse unmissverständlich in die Haut geritzt, existenzielle Codes digitaler Kommunikation von der SMS bis zum Chatroom, wo „Troll“ einen anonymen Störenfried, „FML/Fuck My Life“ eine nihilistische Lebenshaltung bezeichnen. Der digitale Avatar in HD-scharfer Qualität vorgetragen, nackt, muskulös, jede Bewegung leicht verzögert, jede Pore der Haut, jedes Haar aufdringlich sichtbar, ist der omnipräsente Protagonist der jüngsten 3-Kanal-Videoinstallation „Ribbons“ (2014) des britischen Künstlers Ed Atkins. Sie war bis Mitte Mai in der Kunsthalle Zürich zu sehen, sound- und bildgewaltig, faszinierend und verstörend zugleich.

Was hat der digitale Wiedergänger gleich in drei nebeneinander liegenden Sälen auf drei Projektionswänden zu erzählen? Säuft, singt und quatscht er sich bloß über die Runden? Inwiefern ist er mehr als das Produkt seines Schöpfers, ein Spiegel des Betrachters, Stellvertreter des Künstlers? Ein digitaler Kadaver zwischen Benutzeroberfläche und Live-Akt? Wie röche es, wenn der digitale Wicht Gerüche absondern könnte?

Ed Aktins, 1982 in Oxford geboren, gehört seit seinem Masterabschluss an der Slade School of Art 2009 zu den angesagten Künstlern seiner Generation. Die Ausstellung in Zürich bot nun mit fünf Videoarbeiten, darunter die eigens für die drei Räume im dritten Obergeschoss konzipierte „Ribbons“, eingehend Gelegenheit das hohe Lob, das dem Künstler vorauseilt, zu überprüfen.

Dort, wo das Publikum für gewöhnlich biographische Daten und ein Kuratorenstatement erwartet, waren an den Eingang der Zürcher Ausstellung sechs DinA-0 Kopien eines gedruckten Textes in Deutsch und Englisch gepinnt, der „An Introduction to the Work/ Einen Einstieg in das Werk“ versprach und von dem man annehmen durfte, dass er vom Künstler selbst stammt. Doch statt dem Leser einen Diskurs über digitale Bilderwelten zu liefern, wurde dieser, mit „Dears/ Ihr Lieben“ angesprochen, in einen frei assoziierenden Bocksgesang gezogen: „Conservatively speaking, the machine-chamfered tools of late phallic whittling abound and universally, so honestly, X, very much capable of honing any stubborn shape into the absolute SPIT,“ hieß es da zum Beispiel. Im letzten Satz wurde dann auch mit post-strukturalistischer Attitude jede Übersetzung von Erfahrung ins Bild dementiert: „And what if I want to disavow the possibility of abundantly replacing an experience with some Legion other’s mediated imagery?“Bis dahin war auch ein wollender Leser längst ausgestiegen.

Lesen, Schreiben, Vortragen, zumeist mit blauer Maske, Negation von Autorschaft und Identität, gehören für Ed Atkins ebenso zum künstlerischen Kerngeschäft wie die Produktion digitaler Bildwelten, zu denen der Text das Libretto, Sound und Musik den Takt vorgeben. Im ersten Raum standen fünfzehn Collagen aus S/W-Kopien, die Whisky-Gläser und den Protagonisten aus „Ribbons“ zeigten, rahmenden Cutouts und schwarz gepinselten Ornamenten auf zweieinhalb Meter hohen, gegen die Wand gelehnten MDF-Platten („Untitled (Ribbons)“, 2014), – der analoge Side-Effekt der ein Stockwerk darüber gezeigten Videoinstallation. Was hätte dagegen gesprochen auch die produktionstechnisch zugrunde liegenden Texte zugänglich zu machen?

Eine missglückte Entscheidung dann auch im selben Raum, Fußnoten gleich, die drei Videos „Warm, Warm, Warm Spring Mouths“ (2013), „Even Pricks“ (2013) und „Material Witness or A Liquid Cop“ (2012) zu präsentieren. Wer wollte die zehn bis zwanzig Minuten langen Arbeiten in gebotener Gänze im Stehen und über Kopfhörer genießen? Ihre penetrante Wucht nahm der Besucher zur Kenntnis, bevor er in den angrenzenden Saal mit der zwei-Kanal-HD-Videocollage „Us Dead Talk Love“ (2012) überwechselte, in der der rumpflose Avatar auf zwei in den Raum gestellte Projektionswände über Liebe, Tod und Körper und ein Haar an der Vorhaut als Referenz an das Reale räsonierte. Immerhin konnte man hier sitzen.

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Glücklich also, wer unverrichteter Dinge und unvermittelt eine Treppe höher im dritten Stock bei „Ribbons“ in Ed Atkins Welt gelandet war. Man wanderte in den drei aneinandergrenzenden Sälen, ließ sich in Ermangelung von Sitzgelegenheiten vor einer der drei Leinwände inmitten der vier Lautsprecher des Audio-Surround-Systems auf dem Teppich nieder und staunte.

Ein klar definierter Anfang auf allen drei monumentalen, in die Räume gestellten Screens: Nach einem blauen Projektorlicht mit Pausenmusik, einem Black mit Paukenschlag öffnet sich dem Betrachter eine Tür. Nach einem Schnitt erscheint da ein Tisch, dort der „Troll“, der gleich zu reden beginnt. Er redet auf jeden Fall zu viel, viel zu viel. Er redet vom Ex-Trinken, vom X, der Leerstelle in seinem Leben und macht dem Betrachter ein X für ein U vor. Eine Geschichte? Die gibt es nicht. Der Protagonist deliriert, säuft, raucht auf allen drei Kanälen in Text und Bild leicht verschoben, bis er nackt unter dem runden Tisch hockt und immer noch quatscht – drei Mal vierzehn Minuten lang, um dann nach Pausenmusik und Paukenschlag ad libitum von vorn zu beginnen. Das ist alles in Atkins‘ eigener, suggestiver Collage-Ästhetik erzählt. Sie speist sich aus HD-Techniken, harten Schnitten, populärer Bildpolitik ebenso wie überraschenden Bildstörungen, zu denen eine überwältigende Soundwolke tritt. Die Figur des Avatar wurde aus dem Kinect-Software-Programm generiert, das es ermöglicht Bewegungen des Künstlers vor der Kamera digital zu verarbeiten. Im „Troll“ steckt also immer auch ein Teil des Künstlers zu schweigen, von der Stimme, die ihm Ed Atkins leiht. Sie verspricht bei aller Ver- und Entfremdung im Cyberspace Konstanz und Körperlichkeit.

Zum Ende des Videos stimmt Atkins Hero auf seinem Tisch in mitten von leergesoffenen Biergläsern liegend das Sopransolo „Erbarme dich, mein Gott“ aus Bachs Matthäuspassion an. Im nächsten Bild fällt er wie ein angestochener Luftballon in sich zusammen. Haben wir Mitleid mit ihm und mit ihm, mit all den digitalen Identitäten, Selfies, Trollen, Avataren? Erlösung können sie bei Atkins nicht erwarten.

Katalog: Ed Atkins, Kunsthalle Zürich, 15.2.-11.5.2014, Julia Stoschek Collection, Düsseldorf 7.9.2013-23.2.2014, Kunsthalle Mainz 4.7.-28.9.2014, Hrsg. Beatrix Ruf, Kunsthalle Zürich, Julia Stoschek, Julia Stoschek Collection, Düsseldorf, Thomas D. Trummer, Kunsthalle Mainz, Zürich 2014, 160 Seiten zahlreiche Abbildungen.

Zuerst veröffentlicht in Kunstforum International Band 226. http://www.kunstforum.de/

 

 

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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