Düren liegt so nah – Die Berlin Biennale 2014

Berlin hätte nach dem entgleisten Experiment der 7. Biennale einigen Dampf aufnehmen müssen, um vorn im Feld mithalten zu können. Ihre 8. Ausgabe katapultiert die Stadt jedoch als Ort zeitgenössischer Kunst weit nach hinten – nur, die Berliner wollen es nicht so recht wahrhaben.

P1160784Nach dieser Biennale liegt der Bezugspunkt der Hauptstadt in Sachen Kunst nicht mehr in New York, London, Basel oder Istanbul, sondern in Düren. Wer sich auf der Karte nicht auskennt, die Kreisstadt liegt nicht, wie man denken könnte, in Brandenburg, nein, in der Eifel hinter Köln, wo sich kurz vor der französischen Grenze Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Was nah scheint, ist oft weit weg, weiter eben als New York, London, Istanbul oder sagen wir Sharjah in Dubai.

So könnte man die Arbeit des in Berlin lebenden Franzosen Saâdan Afif deuten, der mit seiner Arbeit „Là Bas…“ (2014) wieder einmal die Palme verdient hat – ihm war das kürzlich schon bei der 5. Marrakech Biennale gelungen (siehe Beitrag unten). Ein verkleinerter Lichtmast des Bahnhofs der 90.000-Seelengemeinde steht nun auf einem weissen Holzpodest im ersten Obergeschoss der seit einigen Jahren aus dem Blick geratenen Dahlemer Museen und gibt ab und an mit seinem Lautsprecher die Zugansagen, wir vermuten, in Echtzeit durch. Zwischen all den aztekischen, ozeanischen, asiatischen Kostbarkeiten des Hauses ein Exot sondergleichen, – das Nahe liegt so fern.

Dass Afif dann noch Künstlerfreunde animiert hat sich dichtend zum Thema „ici/hier“ und „Là bas/dort“ auszulassen ist gewitzt, doch angarnierte Nebensache. Nicht so, dass er dasselbe Display gleichzeitig in der Eifel in Düren zeigt, von dem mit dem „ici/hier“ ein Ort mit Ursrungsmächtigkeit behauptet wird, der diese dem „Là bas/dort“, also Berlin, wenn nicht aberkennt, so doch – und sei es nur rhetorisch – streitig macht. Das Ferne rückt damit bedrohlich nahe.

Darin ist jedoch nicht nur eine Kritik an hypertrophen Ansprüchen der Grossstadt gegenüber der Provinz, an dem europäischen Museum gegenüber anderen Kulturen zu sehen, sondern auch, wenn auch ungewollt, eine Kritik an der Biennale selbst, die glaubt durch das biedere Konzept einer „conceptual correctness“ das Ganze fürs Gros der Klientel durch Kunst zurechtrücken zu können.

Dabei werden wir für dumm verkauft. Die Pressemappe hält einen Text zum „Kuratorischen Ansatz“ bereit, den wir dann ohne Titel unter dem Logo einer aufgebrochenen „8“ und dem Namen des Kurators im Begleitbüchlein der Biennale zu lesen bekommen. Wir erfahren darin nichts, worum es ihm geht, was ihn umtreibt, was sein Anliegen ist. Statt dessen wird konsensfähiges Nachgeplapper aus der Stadtgeschichte serviert, das auf vorbereitete Resonanzflächen treffen soll, wobei man es mit den Fakten nicht so genau nimmt. So insinuiert der Kurator zu Beginn seiner Ausführung, dass, „nach einer offiziellen Verlautbarung (…) eine `internationale Expertenkommission Historische Mitte Berlin` dieses Vorhaben (das Humboldt-Forum A.d.A.) empfohlen hat.“ Ja und, fragt man sich, und wer verlautbart da, was offiziell? Offensichtlich hatte der Autor die Materie nicht ganz durchdrungen. Spätestens mit der Beschreibung der Strasse unten den Linden ein paar Sätze weiter, als „Produkt der preussischen Stadtplanung aus neoklassizistischer Zeit“, fragt sich jeder einigermassen aufgeweckte Leser, der einmal gehört hat, dass die Linden im 17.Jahrhundert, also in barocker Zeit gepflanzt wurden, wer diesen armen Mann beraten hat. Oder hat man ihn, den Kurator aus Kanada mit südamerikanischen Wurzeln, gerne im Unklaren gelassen? Damit sein Blick von aussen nicht getrübt würde, wohl wissend, dass damit sein Drang sich anzupassen steigen, das Resultat „conceptual correct“ und für alle zu verdauen sein würde?

Dazu passt, dass alle dem Schlachtruf, „die Peripherie ist das Zentrum“, auch topografisch zu folgen, und das Haus am Waldsee und die völkerkundlichen Museen Dahlem im alten Westen im post-kolonialen Takt aufzusuchen haben, wo gleich im Entree geometrische Bodenmuster und Leuchten à la VEB-Produktion von Olaf Nicolai für Ost-Look, in den ohnehin ostig wirkenden Bau von Fritz Bornemann aus den 1960er-Jahren zaubern müssen, damit der Besucher das abgestandene Berlin-Feeling auch noch mitserviert bekommt. Für die meisten Besucher hätte ein Kanister Lyol auf den Boden gekippt, mehr getan. So liefern hier grossartige Künstler Mediokres (Carsten Höller, Olaf Nicolai, Wolfgang Tillmans). Zum Möbelhausdesign totarrangiertes (Iman Issa, Leonor Antunes wird das  in den Kunst-Werken wiederholen müssen) und dümmliches Laienspiel (Goshka Macuga) vernebeln den Blick gegenüber starken Arbeiten (Carlos Amorales), wobei man sich in dieser Umgebung zur Betrachtung zwingen musste, zu schweigen dass die aztekischen Stelen, osmanischen Gewänder oder die Bronzen aus Benin zum nichtssagenden Ornament erstarrten – der implizite Vorwurf an der museale Präsentation fällt auf die Kritik zurück. Wer in Richtung post-kolonialem Diskurs mehr Geschmack und Haltung erwartet und einen Massstab sucht, muss sich nur an Willem de Rooijs Installation „Intolerance“ 2010 in der Neuen Nationalgalerie erinnern.

Dass der Kurator kein Gefühl für Raum, Architektur und Kontext besitzt, zeigt sich auch in der Villa Haus am Waldsee, wo man von der Terrasse aus von einem Streichquartett aus Lautsprechern beschallt wird und im wunderbaren Garten obendrein Kaffeebuden, Kühlschrankberge und dies und das zu raten geben, ob sie nun dazugehören oder nicht. Auch hier will man die Arbeiten im Haus, die allesamt Epigonal-Postethnografisches vortragen, nicht mehr wirklich sehen. „Conceptual correctness“ freilich auch hier. Die Künstler beschränken sich auf Medien und Material, die Nüchternheit, Ernst und nichts Feuchtes oder gar Expressives versprechen. Hatten wir das vergessen? Malerei gibt es nicht, wenige  unbedeutende Ausnahmen ausgenommen. Es gibt auch nichts, was  aus der Reihe spurt, was überrascht und Widerstand erzeugt. Das erstere wäre zu verschmerzen. Das zweite macht die Veranstaltung öde.

„Conceptual correctness“  wird aus der Biennale-Tradition heraus vor allem im dritten Standort, in der Auguststrasse ausagiert: Natürlich gibt es in den Kunst-Werken die Mehrkanalvideoinstallation mit müden chinesischen Arbeiterinnen an der Maschine. Doch sie erscheinen hier wie die lasche Referenz an den sozialdemokratischen Geldgeber. Die eigentliche Geste des Kurators wird zwischen dem White Cube des Untergeschoss` und dem vierten Stock orchestriert: Unten wird behauptet, dass dort, wo eigentlich das grosse Format hineingehört, das Kleine regieren soll – also, statt Installation und Malerei, die Zeichnung, die Idea statt marktkonformer Leinwandklekserei. Da gibt es Hübsches zu sehen, werden Geschichten erzählt. Man sieht alte Bekannte aus der historischen Rumpelkiste. Der Wiedererkennungswert zählt. Oben gibt es dann nichts zu sehen. Aber zu hören. Wir lauschen einer Frauenstimme. Sie singt Kunstlieder, im 19ten Jahrhundert entstanden im Wohlklang des 20ten vorgetragen – Inbegriff bürgerlicher Hochkultur. Doch wofür steht sie? Soll das einen Kontrapunkt setzen? Oder ein Fluchtpunkt? Will uns der Kurator mit seiner Veranstaltung in diesen Olymp – als Vorschein einer erlösten Welt – hiefen? Wer singt da, was? Wie dem auch sei. Sowohl die Graphiken im White Cube wie das Kunstlied sind fehl am Platz, spielen mit gezinkten Karten – sie werden dem Publikum untergeschoben und es darf schauen, wie es damit zurechtkommt. Auch darum ist Düren Berlin ein gutes Stück näher gerückt.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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