Künstlerreliquie und Multimedia-Info-Cube – zwischen diesen Polen bewegt sich der neueste süffig präsentierte Blockbuster der Fondation Beyeler in Riehen bei Basel. Ihr Held, Paul Gauguin, wie die Ausstellung dann auch schlicht betitelt wird, zeigt sich von der spektakulären Seite, die Präsentation up to date.
„Das europäische Kunstereignis des Jahres“, wie es in der Eigenwerbung weniger bescheiden heißt, offeriert nur das Feinste, 51 hochkarätige Gemälde und Skulpturen aus Gauguins reifen Jahren zwischen 1886 und dem Tod des 1848 in Paris geborenen in der polynesischen Südsee 1903. Grafik und die epigonalen postimpressionistischen Anfänge bleiben dem Besucher erspart. Er darf sich ungestört an der stattlichen Zahl von Hauptwerken unter anderem aus Boston, Paris, Dresden, St. Petersburg und Moskau und zahlreichen aus Privatsammlungen ergehen. Doch ist das zeitgemäß? Zweifel sind angebracht.
Ein Indikator mag darin liegen, dass über ein halbes Jahrhundert nach der letzten großen Gauguin-Ausstellung im Kunstmuseum Basel 1948, die zweite nach 1928, nun ein privates Stiftungsmuseum den ungeheuren logistischen und finanziellen Aufwand tragen kann, den neben Cézanne und van Gogh hoch gehandelten Wegbereiter der klassischen Moderne zu präsentieren.
Ein nächster Zweifel beschleicht das Publikum im Eingangsaal: Ein eskapistisches Künstlerstatement, die üblichen kuratorischen Worte zur Einführung an der Wand, stimmen neben einem ersten Selbstportrait des selbstbewussten 45-jährigen im Maler-Magier-Look mit Kappe, Mantel und Palette vor satt-rotem Hintergrund aus den Jahren 1893/94 zum Kunstgenuss ein. Doch man will mehr vom Besucher. Man will Adoration. In einer Wandnische, hinter Glas darf reliquiengleich und ursprungsmächtig die Palette des Meisters aus dem Pariser Musée d´Orsay bestaunt werden.
Sicher bietet diese Gabe dem Betrachter eine Verknüpfung zum Künstlerportrait nebenan, spannt als ironische Geste der Kuratoren den Bogen vom 19.-Jahrhundert und seinem Kult um das Kunstgenie zur hippen Kunstvermittlung im digital space am Ende des Parcours. Doch die Palette indiziert dem Besucher zuerst die Rezeptionshaltung von Bewunderung und Anbetung. Und das zahlt sich aus. In jedem Fall für die Besitzer der Gemälde.
Kurz vor Ausstellungseröffnung platzte die Nachricht ins Haus, dass der Trust der Staechelin-Stiftung Gauguins Doppelbildnis zweier sitzender Frauen Nafea faaipoipo (Wann heiratest du), 1892, als Dauerleihgabe jahrzehntelang Ikone des Baseler Kunsthauses und nun in der Ausstellung, für den astronomischen Betrag von annähernd 300 Millionen Dollar an eine katarische Prinzessin verkauft habe. Es wäre damit das teuerste jemals verkaufte Kunstwerk. Zwar ist bisher weder der Kaufpreis, noch die Käuferin bestätigt. Doch allein das Gerücht im Verein mit der neuerlichen Konsekration des Gemäldes durch die Riehener Schau lassen die obszöne Wertsteigerung wahrscheinlich werden.
So geht es bei der Ausstellung auch zügig zur Sache. Nach der kurzen Enfilade, die Gauguins bretonische Jahre gewidmet ist, lassen die folgenden fünf Säle die Südseephantasien des Künstlers und seines Publikums im musealen White Cube der Fondation erblühen. Zum Empfang wird gleich im ersten das Basler Meisterstück, ein Hochformat, von zwei Querformaten Parau Api? (Gibt es Neuigkeiten?) aus Dresden, und Aha oe feii (Bist du eifersüchtig?) aus Moskau, flankiert. Leuchtend farbsatte Darstellungen tahitianischer Frauen aus dem Jahr 1892, je zwei, bildfüllend, gelassen, melancholisch, wetteifern um die Gunst des Publikums. Nur die eine, nackte vor ornamentalen Farbfeldern und einer angeschnitten Liegenden aus dem Eifersuchtsbild des Puschkin-Museums blickt verstohlen aus dem linken ins Auge des Betrachtes.
Ist es Zufall, dass sie wie zu einem Altar-Triptychon arrangiert, sakral überhöht werden? Oder ist das einfach nur überzeugend präsentiert und bringt den Künstler zu sich selbst? Honi soit qui mal y pense! Denn die Begegnung mit den in den Nachkriegsjahrzehnten sattsam reproduzierten Klassikern im Trio verschlägt dem Betrachter den Atem, gleich dem monumentalen Ölgemälde D´Où venons-nous? Que sommes-nous? Oú allions-nous? (Woher kommen wir? Wo sind wir? Wohin gehen wir?) (1897-98) aus Boston, einen Saal weiter. So nah und doch so fern erscheinen ihm nach wie vor diese Bilder eines verlorenen Paradieses.
Auf der dem Dresden-Basel-Moskau-Trio gegenüberliegenden Wand präsentiert man die beiden ein Jahr zuvor auf Tahiti entstandenen Ölbilder Cochons noires (Schwarze Schweine) und Te raau rahi (Großer Baum) (1891). Das ist erhellend und konsequent. Sie wirken gegenüber dem Trio mit ihren Lokalfarben und dem Detailreichtum konventionell, naturalistisch, bieder. Man darf sie als verunsicherte Referenz an die Erwartungen des Förderers seiner ersten Reise nach französisch Polynesien deuten, dem Ministère de l`Instruction publique et des Beaux-Arts, bei dem Gauguin erfolgreich einen Antrag zur Unterstützung seines Unternehmens gestellt hatte. Schon das im zweiten Saal ausgestellte bretonische Schlüsselbild La vision du sermon (Die Vision der Predigt) (1888) zeigte, dass es der Künstler anders konnte und wollte. Doch solche kritische Distanznahme lässt die Riehener Schau im Weiteren nicht zu. Bei allem Wohlwollen gegenüber der im weiteren ausgebreiteten künstlerischen Potenz, von den dankenswert zahlreichen Skulpturen von Krug in Form eines Selbstbildnisses (1889) aus Kopenhagen bis zu Oviri (Wilde) (1894) und den reifen Gemälden von den Reitern am Strand (1902) aus einer Privatsammlung bis zum späten, nicht inszenierten Selbstbildnis (1902) aus Basel, es herrscht der Wille zur geschlossenen Einheit und Größe des künstlerischen Werks vor.
Gauguin eignet sich als Projektionsfigur. Er ist der Aussteiger, der sein Leben als Seemann begann, Börsenmakler, Kunstsammler und Sonntagsmaler wurde, der unter Profis Anerkennung fand, der Künstler, Zivilisationskritiker und „Bon sauvage“, der für die Kunst Familie und Karriere aufgab, um in vermeintlich wilden, ursprünglichen Kulturen, der Bretagne, dem fernen Südseereich, seinem Eskapismus einen finalen Lauf zu geben. Vom den artistischen Kollateralschäden, zum Beispiel den fünf unehelichen Kindern, die der Mann mit minderjährigen Inselmädchen zeugte, wie vom Kater, den dieser Rausch hinterließ, ist auch im Hypertext der abschließenden Multimedia-Installation wenig zu erfahren. So hinterlässt auch Paul Gauguin in Riehen einen zwiespältigen Eindruck.
Katalog: Paul Gauguin, Ausstellung 8.02.-28.06.2015, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel, Hrsg. Raphaël Bouvier, Martin Schwander, Basel 2015; 230 Seiten.
Zuerst erschienen in Kunstforum international Bd. 232 http://kunstforum.de/