Es war einmal eine Stadt am Rhein. Stolze Altstadthäuser, der Mohrenbrunnen und ein mächtiges Spinnereigebäude zeugen noch heute vom Wirtschaftssinn und Wohlstand ihrer Bürger. Einer kam, als die Textilindustrie darniederlag, auf die findige Idee, Kunst in die alte Spinnerei zu holen und versammelte die Werke eines Bruce Nauman, Carl Andre, Mario Merz, Sol LeWitt, Robert Ryman, Robert Mangold, Donald Judd, und – Joseph Beuys. Zwei Jahre vor seinem Tod baute der Meister 1984 eines seiner Hauptwerke „Das Kapital Raum 1970 – 1977“ in einen acht Meter hohen Raum. Man brach dafür eine Decke heraus. Spektakulär. Doch auch dieser Traum hatte ein Ende. 2014 entschied ein Gericht des Städtchens, „Das Kapital“ müsse kapitalisiert werden. Die klagenden Eigentümer seien auszuzahlen, worauf dutzende Objekte, Schiefertafeln, Filmprojektoren, Wannen und ein Flügel nach Berlin verkauft wurden. Dort sind sie seit 2016 im Hamburger Bahnhof Museum für Gegenwart vorzüglich platziert. Die Sammlung der einst gerühmten „Hallen für Neue Kunst“ hingegen zog flussaufwärts nach Basel und ward bisher nicht wiedergesehen. Ein Märchen? Eine Posse aus der Schweizer Provinz, die ihr „Kapital“ verzockt? Sicherlich. Doch viel grundsätzlicher, da der Ratio und schnellen Erklärungen entzogen, zeigt sich hier ein sozietäres Stottern, ein Versprechen, als eine Zusicherung und ein Versagen gleichermaßen.
Der Künstler Yves Netzhammer wuchs in diesem Märchenstädtchen Schaffhausen auf. Nun ist er kurz in seine Geburtsstadt zurückgekehrt und bespielt ausgewählte Orte des Museums zu Allerheiligen, das im einst mächtigen Benediktinerkloster die kantonalen Sammlungen zu Natur, Kunst und Geschichte präsentiert. Auch Teile der ehemaligen Hallen für Neue Kunst sind dabei. Deren Geschichte gehört unmittelbar zu Netzhammers Erfahrungen. Er hat dort in seiner Jugend zwischen Judd, Nauman und Beuys als Aufseher gejobbt – ein Artisten-Versprechen, ein „Biografischer Versprecher“ allemal, wie der Titel der klandestin retrospektiven Ausstellung nun auch lautet. Der Künstler platziert 18 Objekte und Video-Projektionen in den verzweigten Räumlichkeiten der ständigen Sammlung und richtet dazu eine großflächige Black Box mit kinetischen Skulpturen und Videoprojektionen ein.
Der unstrittige Höhepunkt bildete allerdings die Temporäre Installation in den ehemaligen Hallen für Neue Kunst. Sie war, auch darin stringent, nur knapp drei Wochen zu sehen. Der Besucher betrat das gespenstisch leere Obergeschoss ohne jeden optischen Anhaltspunkt; – nur monotone Plop-und-Plong-Geräusche, wie man sie von Tennisplätzen her kennt, sorgten im unheimlichen Pfeilergewirr der Halle für eine akustische Orientierung. Die Geräusche rührten von drei Tennisball-Wurfmaschinen her, die aus ihren schwarzen Trichtern Bälle gegen die Wände just jenes Raums schleuderten, in dem vor wenigen Jahren noch die Kreide-beschriebenen Schiefertafeln Beuys’ zu sehen waren. Die Bälle plopten erstaunlich genau mit einem Klong auf metallische Scheiben und sprangen in hohem Bogen zurück, nicht selten in den Trichter. Wo nicht, waren Aufsicht und Besucher damit beschäftigt, die fehlgeleiteten signal-gelben Geschosse einzusammeln und zurück in die Wurfmaschine zu bugsieren. Es bedarf einiger Chuzpe sich dieses Ortes künstlerisch zu bemächtigen. Doch Netzhammer gelang dies auf überzeugende Weise, nicht in Verneigung und Gedenken, sondern in einer munteren Austreibung der Geister, bei der symbolisch der Übervater Beuys durch die Waffen des realen Vaters, Netzhammers war Tennislehrer, geschlagen wurde. Statt der Schiefertafeltexte des Kunstschamanen waren nun fünf monumentale Wandzeichnungen direkt auf den Putz gebracht, die dem Betrachter noch rätselhafter erschienen, fehlte doch jedes ikonographische Bezugssystem. Was sollte einem der Hände-Finger-Wurzel-Knollen bedeuten? Der große Kopf? Die Ente über einem Hundeschädel mit roter Clownsnase oder die Hand, an deren Stumpf ein roter Kreis und der afrikanische Kontinent gebunden waren? Der Besucher sah sich auf das Lineament und den Zusammenklang der schwarzen und roten Kreisflächen zurückgeworfen und freute sich über das Tennisball-Bombardement der Schussmaschinen.
Die Ausstellung Yves Netzhammer Biografische Versprecher läuft noch bis 17. Februar 2019
Der Beitrag erschien zuert online und im Print in Kunstforum international Band 258, Köln 2018