Anton Bruhin – in Altdorf & Zürich: Hauptsache & ABC

Die Fremde liegt meist in der Nähe. Zum Beispiel in Altdorf. Das ist der Hauptort des Kanton Uri, Schweiz, beschaulich, malerisch unter einem Bergkegel, der auch noch Mythen heißt. Auf dem Dorfplatz, als wollte man einen Anker werfen, steht ein Trumm aus Bronze, meterhoch, das Tell-Denkmal von Richard Kissling. Doch die bizarre Szenerie wird noch getoppt. Biegt die Besucherin um die nächste Ecke, empfängt sie zwischen alten Bürgerhäusern ein pavillonartiges Gebäude mit Kolonnaden, Balustern und wuchtigem Giebel: das Kunsthaus Uri.

Hier wird nun bis Ende August die Ausstellung Anton Bruhin „Hauptsache“ gezeigt, eine Entdeckung sondergleichen, denn das Werk des 1949 geborenen Schwyzer Künstlers spiegelt und konterkariert die skurrile Heteronomie und Eigensinnigkeit seiner Heimat auf beeindruckende Weise. Mit der Ausstellung Bruhins „ABC“ in der Zürcher Galerie Marlene Frei ergibt sich somit in diesen Sommermonaten die einmalige Gelegenheit eine Künstlerpersönlichkeit kennen zu lernen, die quer zum Kunstbetrieb liegt und in dieser Ausführlichkeit bisher nie zu sehen war. „Hauptsache“ dreht sich zwar vor allem um den „caput“, den Kopf, das gemalte, gezeichnete, gebastelte Haupt. Hauptsächlich geht es aber um die Kunst Anton Bruhins. Die Ausstellung hat retrospektiven Charakter. Der Künstler zeigt sich dabei als Konservativer und Revolutionär, als Traditionalist und Phantast. Gegen die angesagten Leitmedien seiner Generation bleibt er bei den klassischen Disziplinen, Malerei und Skulptur, legt fotorealistische Steckmosaike aus Plastikplättchen, lange bevor diese Technik von Ai Weiwei entdeckt wurde, und übt seinen Sprachwitz in Palindromen, – eine Disziplin, die ihn in die Höhen eines André Thomkins führt. Das Performative hat Bruhin früh in die Musik, genauer, ins Maultrommelspiel verlegt. Hier ist er ein international anerkannter Virtuose. Gastspielreisen führten ihn bis nach Japan.

Der Sprachbildkünstler, der Graphiker Bruhin wird ausführlich in Zürich gewürdigt. Marlene Frei stellt neben Steckbildern, Palindromen und Grafiken einen Ausschnitt des monumentalen Mappenwerks „500 Typogramme“, (2002), ins Zentrum. Die Laserprints auf ca. 30 x 20 cm Größe, 119 werden gerahmt präsentiert, zeigen groteske Figuren, die durch das variantenreiche Überlagern von Buchstaben, Ziffern und Graphemen aus der Schrift Curier New generiert wurden. Vor der Betrachterin entfaltet sich ein schier unerschöpfliches Repertoire an Zeichen, das in seinem Witz und Ernsthaftigkeit sofort reizt, mit eigener schöpferischer Einbildungskraft fortgesetzt zu werden. Allein für diese Arbeit gebührte Bruhin in die „Hall of Fame“ der Schweizer Gegenwartskunst aufgenommen zu werden.

Oder ist es die Serie der großformatigen „Dämonen“, zwischen 2015 und 2017 in Acryl auf Leinwand entstanden, die in Altdorf im Oberlichtsaal des Erdgeschoßes hängen? Eines der glubschäugigen Monster in Rottönen empfängt die Besucherin bereits im Foyer. Doch vorher bleibt sie an einer anderen Arbeit hängen: “Suprematistischer Mickey“, Öl auf Leinwand, schwarz/weiß, ca. 115 x 115 cm. In der ersten Hängung Kasimir Malewitschs „Schwarzen Quadrats“ in der Herrgottsecke des Galerieraums platziert Bruhin ebenso ein schwarzes Quadrat auf weißem Grund, nur dass er dieses oben um zwei weitere schwarze Quadrate ergänzt, wodurch auf einen Schlag über die konkrete Form, Walt Disneys Comic-Figur aufgerufen wird – auch das ein „caput“, ein Monster, ein Dämon, den die Betrachterin ob seiner Chuzpe nicht so leicht wieder aus dem Kopf kriegt.

Der „Mickey“ vereint einen Widerspruch, der das gesamte Werk Bruhins durchzieht: Die Spannung zwischen konkreter Form und Darstellung. Bruhin besucht 1965 den Vorkurs, ab 1966 die Klasse „Form & Farbe“ an der Zürcher Kunstgewerbeschule und beginnt 1967 eine Lehre als Schriftsetzer. Von hier ist ihm der Sinn für Reduktion mitgegeben, die Serie, Wiederholung und Abweichung, als Gestaltungsprinzip. Anfang der 1980er-Jahre beginnt Bruhin mit der Malerei in Öl. Er malt von Anfang an figurativ, zuerst Portraits, dann auch Landschaften in hellen, pastosen Farben und Stillleben in mittleren Formaten. In ihrem Realismus wirken sie gerade durch ihre Könnerschaft wie aus der Zeit gefallen, kaum anders die quadratischen in Graustufen angelegten Steckplastikmosaikportraits, die als Homagen an die Freunde durch ihre Trompe-l‘œil-bravour und die Beherrschung des Materials bestechen. So hat die Besucherin in den „Dämonen“ (2015-2017), auch sie Ölmalerei, ausladender, reduktionistischer in Kettengliedmotiven vor Bordeaux-rotem Hintergrund, die sich in Grimassen, Fratzen formen, eher den Eindruck, der Künstler male sich hier mit einem neuen Konzept und in Serie frei von den vorherigen selbstgesetzten Auflagen der klassischen Malerei. Im gelingt damit ein Ausgleich zwischen konkreter Form, Material und Figuration, den er in seinen Serien von Köpfen aus vorgefundenen Materialien seit Ende der 1980er-Jahre hergestellt hatte. Fünfzehn gelbe, kantige Holzkopfobjekte aus einfach zugeschnittenen Schaltafeln, zwischen 15 und 20 cm hoch (2019) sind unter anderen zu bewundern. Dass sie im Vorgarten des Kunsthaus Uri in fünf Exemplaren noch einmal als Bronzearbeiten auftauchen, unterstreicht ihre künstlerische Gravität. Sie erinnern ikonografisch an römische Cäsarenbüsten, nur dass sie hier die dynastischen Machtansprüche als Aufforderung zur Selbstermächtigung an die Besucherinnen und Besucher zurückgeben.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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