Enge Gassen, verwinkelte Häuser, lauschige Plätzchen, kein Mensch unterwegs. Nur hinter den Gardinen rauscht es verschwiegen. Biedermeieridyll noch im 21ten Jahrhundert, wohin man blickt. Wohl an keiner Stelle zeigt sich Zürich so verschlafen und geborgen wie in seiner Neustadt, die hinter dem Münster an Schlosser-, Franken-, Trittligasse gelegen, zur historischen Altstadt gehört.

Doch was da heimelig und traut hinter den Gardinen dieser Stadt auch und vor allem an Über- und Verkommenem vorkommen mag – man mag es eigentlich nicht wissen – wird der aufmerksamen Besucherin, dem aufmerksamen Besucher dieses Viertels, hier heisst es «Quartier», bei näherem Besehen aufdringlich vor Augen geführt. Freilich, ohne dass bisher irgendein bilderstürmerisches Auge davon Notiz genommen hätte.
Wir sprechen von einem einnehmenden Plätzchen, das mittendrin an der Neustadtgasse gelegen, mit einem Brunnen zum Verweilen einlädt. Aus dem plätschernden Geviert ragt eine Säule in den blauen Himmel, auf der eine undeutlich sich gegen das Himmelblau und seine Sonne sich abzeichnende Gestalt, eine Figurengruppe bei angestrengtem Fixieren sich abzeichnet: Eine gebeugte koboldhafte Figur mit Bart in wilder Fellbekleidung schwingt mit der rechten Hand einen herkulischen Knüppel auf das Hinterteil einer kleinen, nackten unter dem Peiniger bitter schreienden Gestalt, während die Linke des Peinigers einen Sack wie zur endgültigen Liquidierung seines Opfers in der Hand hält.
Wahrscheinlich ist, dass die Figurengruppe eine neuzeitliche Nachgestaltung einer verlorengegangenen älteren Skulptur, anzunehmen aus dem 16. Jahrhundert, darstellt, ein Umstand, der das Ganze nur umso schauriger macht, als der demonstrativ strafende Flagellantismus für Wert befunden wurde, in folgende Generationen mahnend verewigt zu werden.
Passt die drastische Szene zur umgebenden Kleinbürgerkulisse? Zur Zuhausewohligkeit des urbanen Gefüges, das uns Geborgenheit über Dezennien hinweg suggerieren will? Es kommt auf die Perspektive an.
Zum einen taugt er zum folkloristischen Dekor. Karnevalesker Exzess bricht sich in seiner Affirmation augenzwinkernd Bahn, wo sonst calvinistischer Regelvollzug den Alltag diktiert. So lauert hinter den tourismusgeputzten Fassaden seit ehedem verlogene Verschworenheit und Niedertracht im Zeichen des niederträchtigen, doch nach wie vor tolerierten Patrons auf der Brunnensäule
Er steht damit zum anderen, für eine irrationale, nicht begründbare väterliche Gewalt und daraus resultierende infantile Unterwerfung wie sie in den ritualmächtigen Figuren eines Wilden Mann, eines Schmutz oder Knecht Ruprechts als strafende Begleiter des gütigen St. Niklaus bis heute aufgerufen werden. Die unkalkulierbare paternatale Macht erscheint verbrämt ins Märchenhafte und Anekdotische verdrängt. Doch in ihnen wird ihre instantane, irrationale, illegitime Gewalt legitimiert und subkutan perpetuiert. Warum hat man die Brunnenfigur wohl stehen lassen?