Grosse Begegnung. Die Künstlerin Jenny Holzer kuratiert grafische Arbeiten und Skulpturen der Künstlerin Louise Bourgeois im Kunstmuseum Basel.

Mona Lisa? Leonardo da Vinci. Zerfliessende Uhren? Salvador Dali. Rot flimmernde LED-Schriftbänder? Ja, Jenny Holzer. Und gigantische, mega-gruselige Spinnen in Bronze? Auch das haben Sie erraten; Louise Bourgeois. Vor ein paar Jahren konnten wir in Zürich so ein Monster am Bürkliplatz bestaunen. Es hiess «Maman» und zog die Massen an.

Die beiden Frauen, Holzer, Jahrgang 1950, und Bourgeois, 2010 98-jährig verstorben, gehören zu den ganz Grossen im nach wie vor männerdominierten Kunstbetrieb. Sie zählen zu den wenigen Künstlerinnen, denen es gelang, nicht nur globale Bekanntheit sondern auch absolute Unverwechselbarkeit zu erlangen.

Nun treten sie also gemeinsam im Basler Kunstmuseum an. Nach der POC-Künstlerin Kara Walker im vergangenen Jahr ist damit wieder von einem Coup des Direktors Josef Helfenstein und der Kuratorin Anita Haldemann zu berichten, die klug und mit strategischem Kalkül mit Werken, die häufig als die Resteecke des Kunstbetriebs betrachtet werden – Arbeiten auf Papier -, eine grosse und grossartige Show ausrichten.

Natürlich, Louise Bourgeois, erst im Alter anerkannt und geschätzt, ist inzwischen zu einer sicheren Bank geworden. Ihr Werk ist sehr bekannt und in unzähligen Ausstellungen präsent. Und Jenny Holzer? Ihre Botschaften, projiziert auf Leuchtbändern in Installationen, im Museum, vor allem aber im öffentlichen Raum, gehören als Vorboten einer digitalisierten Medienkultur längst zu den Klassikern der Kunstgeschichte.

Ein solches Gipfeltreffen generiert Aufmerksamkeit und dürfte – Win-Win-Situation für Museum, Galeristen und Nachlassverwerter – Fama und Marktwert der Künstlerinnen mehren. Doch was gewinnt das Publikum? Holzer und Bourgeois, das scheint ein gewaltiger Widerspruch!

Bei Holzer spult sich eine mechanisch unterkühlte Appell-Maschine ab, mindestens auf den ersten Blick. Bei Bourgeois werden mit Leidenschaft und Exzess seelische Abgründe ausgelotet. Alles ist bei ihr körperlich: Hände, Brüste, Schwänze, Figurinen bevölkern Grafiken, Gemälde, bestickte Textilien und Skulpturen oder scheinen von der Künstlerin aus schlimmsten Albträumen direkt in reale Gitterkäfige gehängt zu werden. Bourgeois und Holzer: Einer Chaotikerin steht die Destilliererin gegenüber, der Materialschlacht formale Reduktion.

Suchen wir nach Gemeinsamkeiten, so findet sich diese allenfalls in der Lust am Text, am verdichteten Spruch, an einer Meme, auf Papier gebracht oder an eine Hausfassade. «Truisms» hat Holzer ihre Sprüche einmal genannt. Als Textbildfindungen machen sie heute in den sozialen Medien Karriere. Eine Woche lang werden fünf Textbilder im Basler Stadtraum projiziert und auf einem LED-Fries am Kunstmuseum erscheinen. Die Texte werden jedoch nicht von Holzer sein, sondern aus dem reichen Spruchfindungs-Schatz von Bourgeois stammen. Holzer tritt in Basel demütig hinter die Grande Dame der Moderne zurück. Im Innern des Kunstmuseums sind ausschliesslich Werke von Bourgeois zu sehen.

Etikettenschwindel also? Mit Nichten. Holzer ist als Kuratorin mit einer Dirigentin zu vergleichen, die ein Werk zum Klingen bringt, ohne selbst ins Horn zu blasen. Was wir hier zu hören und sehen bekommen ist denn auch nicht nur anrührend. In seinen Gegensätzen und Übergängen von Zärtlichkeit und Obszönität, Zuwendung und Härte, Härte und Geborgenheit – und von dort zu Isolation und Einsamkeit ist es atemberaubend.

Dabei trifft Holzer nicht nur eine kluge Wahl aus allen Schaffensperioden von Bourgeois, sondern weiss diese in den hohen Sälen des Kunstmuseums auch klug zu orchestrieren. Mit unbändiger Zeigelust und viel Gefühl für die (arg hohen) Räume richtet Holzer – eben auch Szenografin – ihr Seh-Spiel ein. Mal wuchern die Bilder wider die Gepflogenheiten bis unter die Decke, mal ordnen sie sich in ordentlichen Symmetrien und thematischen Clustern. Sie folgen nach einem ersten Raum zum Frühwerk keiner strikten Chronologie oder thematischen Ordnung mehr. Nur die Musikalität des Blicks zählt. Das befreit und macht Lust zum Hinsehen, Selbersehen.

Zwar bildet der Ausgangspunkt der Ausstellung das grafische Werk. Aus dem Centre Pompidou ist zum Beispiel der beeindruckende Radier-Zyklus «Extreme Tension», 2007, nach Basel gekommen. Doch Holzer setzt auch gewitzte Kontrapunkte aus dem plastischen Werk, für das Bourgeois bekannt ist. So wird die unheimliche Vaterhölleninstallation «The Destruction of the Father», 1974, als optisch-intellektuelles Scharnier platziert. Für sie hat Holzer auch eine Augmented-Reality-Smartphonapp gestaltet, mit der Bourgeois Inszenierung im digitalen 21. Jahrhundert ankommt und vom Publikum überschrieben werden kann. Auch nicht zu übersehen und überhören: Die phallische Kolben-Maschine «Twosome», 1991, im Tunnel zwischen Alt- und Neubau im Keller. Für introvertierte Nabelschau war Bourgeois nie zu haben. Attacke! Lautete ihre die Devise.

Es hat in den letzten Jahren viele Ausstellungen zu Louise Bourgeois geben. In keiner sind wir ihr – und wohl auch ihrer Dirigentin und Szenografin Jenny Holzer – so nahegekommen.

Zuerst veröffentlicht in redaktionell überarbeiteter Fassung online auf Republik.ch am 18.02.2022

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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