Andrea Büttner. Der Kern der Verhältnisse – Kunstmuseum Basel

Erinnern Sie sich an die dOCUMENTA (13)? Damals hatte man auch die Neue Galerie über der Fulda als Ausstellungshaus genutzt. Im Erdgeschoß, ganz hinten rechts waren Arbeiten von Andrea Büttner zu sehen. Ein Videofilm über Ordensschwestern auf einem Jahrmarkt in einem Kabinett (Little Sisters: Lunapark Ostia, 2012, 42 min.) und Holzschnitte im anderen. Können Sie sich erinnern? Wahrscheinlich nicht. Zu karg, zurückhaltend und leise schienen die Installationen im Documenta-Rummel. Wie aus der Zeit gefallen. Die 1972 in Stuttgart geborene Künstlerin, Autorin, Dokumentaristin lebte damals in Frankfurt/M und London, wo sie auch studierte. Heute ist sie in Berlin zu Haus und gehört zu den gefragtesten Gegenwartskünstlerinnen.

Inzwischen wurde sie 2017 für den Turnerpreis nominiert. Nun stellt sie nach renommierten Häusern weltweit diesen Sommer im Baseler Kunstmuseum aus, ein Karriere-Peak. Eine besondere Auszeichnung: Sie kann ihre Arbeit in einem Grossteil des Hauses für Gegenwart im St.-Alban-Graben zeigen.

Und wir staunen, denn den Kern des «Kern[s] der Verhältnisse», wie die Überblicksschau in Basel betitelt ist, glaubt man im nucleus bereits in Kassel 2012 gesehen zu haben, die farbigen Wandflächen als Folie zu den spröden, grossformatigen Holzschnitten mit ihren zeichenhaften, «armen» Motiven wie Einhausungen, Ähren, Händen, gebückten Gestalten (u.a. Erntender, 2021), die Videodokumentationen zu Ordensgemeinschaften und ihrer «care»-Arbeit (u.a. What is so terrible about craft? / Die Produkte der menschlichen Hand, 2019). Die Saat ist aufgegangen, Büttners Kunstpflänzchen sind herangewachsen, stark und gross, ohne ein lautes «Hier-bin-ich!» in das Kunstfeld hinauszuschreien.

Büttner gehört nicht zu den expressiven Chaotikern des Kunstbetriebs, sondern zu den stillen Reduktionisten, die im Bildentzug den mitdenkenden Zuschauer verlangen. Darin ist sie durch und durch Protestantin, was ihr in Basel zum Erfolg verholfen haben mochte. Text und Reflexion stehen bei ihr vor überwältigendem Bild und Immersion.

Das weht die Besucher*innen bereits in den zwei Anfängen der Ausstellung entgegen – einerseits im weiten, nahezu leeren Foyer des Hauses der Gegenwart, und andererseits im Altbau, wo die Künstlerin sechs Arbeiten der Serie Bread Painting, 2011-2023 unter Altmeistergemälde schmuggeln kann. Bread Paintings sind bei Büttner «BadPaintings», Hinterglasmalerei monochromer Hintergründe für ausgeschnittene und aufgeklebte Fotos von Broten aus Magazinen, die nun auf die gemalten Brote in religiösen Gemälden verweisen, die ihrerseits die Eucharistie und das Wunder der Transsubstantiation vergegenwärtigen.

Im Foyer des Hauses der Gegenwart scheinen sich eine Zeichnung, Untitled, 2020, zwei Holzschnitte, Untitled, 2017, und eine Dia-Show zur Kunstgeschichte des Bückens, 2021, im weiten Raum zu verlieren. Sie tun es nicht. Denn die Künstlerin hat die Wände mit einer braunfarbigen Brüstung versehen, die mit einer unregelmässigen Kante dort abschliesst, wohin der Pinsel der Künstlerin in ihrer Arbeit mit ausgestreckter Hand reichte (Brown Wall Painting, 2006). Die Malerei zeigt in einer minimalen Geste transformatorische Kraft. Sie schafft, obwohl monochrome Fläche, Raum. Er bringt die verstreuten Arbeiten optisch zusammen und setzt sie in Beziehung.

Das gelingt der Künstlerin auch im verwinkelten Hauptsaal, einem von gesamt 6 Räumen, die ihr zur Verfügung stehen. Hier fasst ein regelmässiges schwarzes Raster auf den Wänden (Grid, 2021) ein gutes duzend Arbeiten in Eins: einen Tisch mit Glasvasen, zwei mit holzgeschnitzten Spargeln und Ackerfurchen aus Ton, zwei Videoinstallationen, wieder grossformatige Holzschnitte und Fotografien und schliesslich ein mehrteiliges Deckenpaneel, das hier jedoch an die Wand lehnt, Untitled (Painted Ceiling), 2020. Wären da nicht zwei Kübel frischer Gladiolen, die farblich dem Paneel zugeordnet sind, es würde gründlich aufgeräumt wirken. Wir müssen genau und oft lange hinsehen, damit die Arbeiten in ihrer Lakonie zugänglich und lebendig werden. Kaum eine Arbeit erschliesst sich für sich allein. Sie werden, wenn kein Titel den Hinweis gibt, erst beredt durch den Bezug zu anderen.

Die drei Fotografien am Eingang zum Beispiel. Sie zeigen – wie meist bei der Kamera Büttners, nahsichtig – ruinöse Einfassungen von Beeten, die von saftigem Grün überwuchert werden. Der Titel klärt auf und öffnet Abgründe, Former plant beds from the plantation and “herbal garden,” used by the SS for biodynamic agricultural research, at the Dachau Concentration Camp, 2019 – 2020. Auf einen Schlag wird gegenwärtig, dass das linke Projekt der Ökologiebewegung auch rechts-nationale beziehungsweise faschistische Wurzeln hat. In der Videoinstallation Karmel Dachau, 2019/ 2022-23, führt uns Büttner ein weiteres Mal in die Gegenwart der Nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie, indem sie einfühlsam und unvermittelt Ordensschwestern des Karmeliterinnenklosters neben dem KZ Dachau portraitiert. Im Video sehen wir immer wieder Gladiolen ihrem Klostergarten. So erklären sich die realen Gladiolen im Saal nicht nur ästhetisch, sondern auch in ihrem durch die Künstlerin gestifteten Bedeutungszusammenhang. Wer sich bei Andrea Büttner Zeit lässt, wird reich belohnt.

Am 28.10.2023 eröffnet im K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Andrea Büttner. No Fear, No Shame, No Confusion mit einem gemeinsam mit dem Kunstmuseum Basel herausgegebenen Katalogbuch. Die Ausstellung läuft bis 18.02.2024

https://kunstmuseumbasel.ch/

https://www.kunstsammlung.de/de/exhibitions/andrea-buettner

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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