Computer Klick und Griffel Gottes. Yves Netzhammers Ausstellung „Die Welt ist schön und so verschieden“ im Kunstmuseum Solothurn

Jede Linie ist ein Strich. Nicht jeder Strich eine Linie. Mit diesen Gleichungen ist das Werk des Schweizer Künstlers Yves Netzhammer zwar nicht in Gänze ausgelotet. Dennoch sind damit sein Ausgangspunkt und Wesenskern benannt.

Die meisten zwischen Bellinzona und Schaffhausen geborenen Künstlerinnen sind den Destillierern zuzurechnen, das heißt jenen beharrlichen, zeitlebens mit einer Sache, mit einem Thema Befassten. Bei Netzhammer, Jahrgang 1970, ist es die Zeichnung als digital am Computer generierte Form. Schon mit dieser Setzung ist der Strich, dem eine individuelle Geste, ein Stilistisches innewohnt, eliminiert. Zudem kennen Netzhammers Figurationen keine Schraffur. Alles Malerische ist getilgt. Das mag spröde und hermetisch anmuten. Netzhammer hat jedoch nach seinem Abschluss an der Zürcher Hochschule für Gestaltung 1995 sein eigensinniges Bild- und Erzählrepertoire ohne falsche Versprechen beeindruckend entfaltet. So vertrat er die Schweiz 2007 auf der Venedig Biennale, hatte Ausstellungen in Zürich, Bern, München und Frankfurt, in Kiew, in Shanghai auch in China, auf Tasmanien und im März im renommierten Utsunomiya Museum of Art nördlich von Tokyo. Das erlaubt ihm den kommerziellen Kunstmarkt zu ignorieren.

Wie in Netzhammers animierten Filmen, in denen sich aus einer Form die nächste ergibt, transformierte sich das Form- und Ausdrucksrepertoire über die Jahre so vielfältig und stark, dass nun mit selbstverständlicher Leichtigkeit die Aufgabe gemeistert werden konnte, die sieben Erdgeschosssäle des Solothurner Kunstmuseums mit gänzlich neuen Arbeiten in einem durchgängigen Narrativ zu füllen, das private Obsessionen, existenzielle und politische Fragestellungen mit ortspezifischen Gegebenheiten klug verknüpft. Netzhammer nimmt Bezug auf den repräsentativen neoklassizistischen Bau des Kunstmuseums auf dem ehemaligen Glacis der katholischen Frontstadt der alten Eidgenossenschaft, ebenso wie auf ihre kriegerische Vergangenheit, die schräg gegenüber mit Panzern, Spießen und Hellebarden im historischen Zeughaus fröhliche Urständ feiert.

Auch bei Yves Netzhammer finden wir die langen Spieße, die Schweizer Reisläufer ab dem 15. Jahrhundert zum militärischen Exportschlager machten. Sie begegnen den Besucherinnen und Besuchern gleich am Anfang und im letzten Raum, einmal als reale Stangen an die Wand gelehnt und zum Schluss zeichenhaft in einem apokalyptischen Panorama.

Für Netzhammer ist es jedoch bezeichnend, dass er sein Publikum zu Beginn der Reise ins Ungefähre, Diffuse schickt. Die ersten zwei Räume sind als Folge der linken Enfilade im Erdgeschoss als Black Boxes konzipiert, während die spiegelbildliche rechte Achse über das Foyer hell und bunt mit einem roten Luftballon an der Wand einen klaren Orientierungspunkt, Halt für das Auge und Abschluss bietet. Wir müssen uns auf der anderen Seite erst einfinden, zurechtfinden in die Zeichenwelt des Künstlers, die uns neben den Stäben, fünf an der Zahl, mit merkwürdigen schwarzen Aufsätzen, Spitzen, Lanzetten, Früchten, in einer großformatigen schwarz-weißen Projektion vom Boden bis zur Decke unterlegt von einem unheimlichen Klangteppich vorgeführt wird. Hier entwickeln sich Linien, gerade, gekrümmt. Sie grenzen ab, definieren ein hier und dort und formen Ornamente, Figuren, Arabesken. Sind es die Lanzen an der Wand, Zeichenstäbe, Griffel Gottes, die hier den Takt angeben? Oder Thyrsosstäbe, die im antiken Griechenland von berauschten Mänaden und Dionysosjüngern geschwungen wurden? Sie kehren in der Neuzeit militärmusikalisch reguliert als Taktstock des Tambourmajors wieder, der dem nachfolgenden Trommlerzug die angemessene Marschbewegung in die Luft malt.

„Blätter sind Fragen der Luft“, lautet das paradoxe Motto dieses Raums. Er leuchtet diskret unter der Decke aus einer abgeklebten Neonröhre. Doch das präsentierte Arrangement aus Stangen und Videoprojektion findet im Titel keine Erklärung. Es reibt sich daran. Es findet Erweiterung. Vom Takt des Tambourmajors zum Veitstanz der Mänaden. Pentheus wird im bacchantischen Furor zerrissen. Bei Netzhammer finden sich Körper selten intakt, häufig fragmentiert, zerstückelt mit blutenden Wunden.

Eine durcherzählte Geschichte ist daher in Netzhammers Parcours nicht zu erwarten, vielmehr ein vielstimmiger Bocksgesang auf die Abgründe menschlicher Existenz. Aber auch auf naive Freuden und kindliche Lust, die er mit spielerischem Eigensinn in Szene zu setzen weiß. Gleich der zweite Saal entfaltet ein Zaubergarten, „Die Luft ist das Grab der Wurzel“, in dessen Kasten-Beete weiße Ventilatoren schmucke am 3-D-Printer gefräste Räder antreiben, über Ausschnitte in den Wänden mit dem eindringenden Tageslicht analog geheimnisvoll kosmische Sphären gezaubert werden. Wir staunen über die Ballwurfmaschine im vierten Raum mit seinen grotesken Umrissportraits. Man wundert sich über Parade aus Kisten und Paketrollen aus Holz statt aus Pappe im sechsten, die mit kleinen aufgeklebten Zeichnungen wundersame Adressaten aus einer anderen Welt suggerieren und den Betrachter dergestalt ein- und ausschließen wollen.

Coda und Reprise im siebten und letzten Saal mit „Ein Baum ist ein Tier mit Blättern“. Das erste Wort, „Blätter“ ist auch das letzte. Wie die Geste, das Ziehen einer Linie. Sie teilt, sie scheidet und ruft im letzten Saal über alle vier Wände als „Martillo neto Guernica“ überwältigend und verstörend eine apokalyptische Vision auf, die wir wohl kaum ertragen könnten, wenn uns die Welt nicht gleichzeitig durch die Kunst so schön und verschieden vermittelt wäre.

-> www.kunstmuseum-so.ch

Der Artikel erschien zuerst in KUNSTFORUM International Band 295






































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Jede Linie ist ein Strich. Nicht
jeder Strich eine Linie. Mit diesen Gleichungen ist das Werk des Schweizer
Künstlers Yves Netzhammer zwar nicht in Gänze ausgelotet. Dennoch sind damit
sein Ausgangspunkt und Wesenskern benannt.

Die meisten zwischen Bellinzona
und Schaffhausen geborenen Künstlerinnen sind den Destillierern zuzurechnen,
das heißt jenen beharrlichen, zeitlebens mit einer Sache, mit einem Thema
Befassten. Bei Netzhammer, Jahrgang 1970, ist es die Zeichnung als digital am
Computer generierte Form. Schon mit dieser Setzung ist der Strich, dem eine
individuelle Geste, ein Stilistisches innewohnt, eliminiert. Zudem kennen Netzhammers
Figurationen keine Schraffur. Alles Malerische ist getilgt. Das mag spröde und
hermetisch anmuten. Netzhammer hat jedoch nach seinem Abschluss an der Zürcher
Hochschule für Gestaltung 1995 sein eigensinniges Bild- und Erzählrepertoire
ohne falsche Versprechen beeindruckend entfaltet. So vertrat er die Schweiz
2007 auf der Venedig Biennale, hatte Ausstellungen in Zürich, Bern, München und
Frankfurt, in Kiew, in Shanghai auch in China, auf Tasmanien und im März im renommierten
Utsunomiya Museum of Art nördlich von Tokyo. Das erlaubt ihm den kommerziellen
Kunstmarkt zu ignorieren.

Wie in Netzhammers
animierten Filmen, in denen sich aus einer Form die nächste ergibt,
transformierte sich das Form- und Ausdrucksrepertoire über die Jahre so
vielfältig und stark, dass nun mit selbstverständlicher Leichtigkeit die
Aufgabe gemeistert werden konnte, die sieben Erdgeschosssäle des Solothurner Kunstmuseums
mit gänzlich neuen Arbeiten in einem durchgängigen Narrativ zu füllen, das
private Obsessionen, existenzielle und politische Fragestellungen mit
ortspezifischen Gegebenheiten klug verknüpft. Netzhammer nimmt Bezug auf den repräsentativen
neoklassizistischen Bau des Kunstmuseums auf dem ehemaligen Glacis der
katholischen Frontstadt der alten Eidgenossenschaft, ebenso wie auf ihre
kriegerische Vergangenheit, die schräg gegenüber mit Panzern, Spießen und
Hellebarden im historischen Zeughaus fröhliche Urständ feiert.

Auch bei Yves Netzhammer
finden wir die langen Spieße, die Schweizer Reisläufer ab dem 15. Jahrhundert zum
militärischen Exportschlager machten. Sie begegnen den Besucherinnen und
Besuchern gleich am Anfang und im letzten Raum, einmal als reale Stangen an die
Wand gelehnt und zum Schluss zeichenhaft in einem apokalyptischen Panorama.

Für Netzhammer ist es jedoch
bezeichnend, dass er sein Publikum zu Beginn der Reise ins Ungefähre, Diffuse
schickt. Die ersten zwei Räume sind als Folge der linken Enfilade im
Erdgeschoss als Black Boxes konzipiert, während die spiegelbildliche rechte Achse
über das Foyer hell und bunt mit einem roten Luftballon an der Wand einen
klaren Orientierungspunkt, Halt für das Auge und Abschluss bietet. Wir müssen
uns auf der anderen Seite erst einfinden, zurechtfinden in die Zeichenwelt des
Künstlers, die uns neben den Stäben, fünf an der Zahl, mit merkwürdigen
schwarzen Aufsätzen, Spitzen, Lanzetten, Früchten, in einer großformatigen schwarz-weißen
Projektion vom Boden bis zur Decke unterlegt von einem unheimlichen
Klangteppich vorgeführt wird. Hier entwickeln sich Linien, gerade, gekrümmt.
Sie grenzen ab, definieren ein hier und dort und formen Ornamente, Figuren,
Arabesken. Sind es die Lanzen an der Wand, Zeichenstäbe, Griffel Gottes, die
hier den Takt angeben? Oder Thyrsosstäbe, die im antiken Griechenland von
berauschten Mänaden und Dionysosjüngern geschwungen wurden? Sie kehren in der
Neuzeit militärmusikalisch reguliert als Taktstock des Tambourmajors wieder,
der dem nachfolgenden Trommlerzug die angemessene Marschbewegung in die Luft
malt.

„Blätter sind Fragen der
Luft“, lautet das paradoxe Motto dieses Raums. Er leuchtet diskret unter der
Decke aus einer abgeklebten Neonröhre. Doch das präsentierte Arrangement aus
Stangen und Videoprojektion findet im Titel keine Erklärung. Es reibt sich
daran. Es findet Erweiterung. Vom Takt des Tambourmajors zum Veitstanz der
Mänaden. Pentheus wird im bacchantischen Furor zerrissen. Bei Netzhammer finden
sich Körper selten intakt, häufig fragmentiert, zerstückelt mit blutenden
Wunden.

Eine durcherzählte
Geschichte ist daher in Netzhammers Parcours nicht zu erwarten, vielmehr ein
vielstimmiger Bocksgesang auf die Abgründe menschlicher Existenz. Aber auch auf
naive Freuden und kindliche Lust, die er mit spielerischem Eigensinn in Szene
zu setzen weiß. Gleich der zweite Saal entfaltet ein Zaubergarten, „Die Luft
ist das Grab der Wurzel“, in dessen Kasten-Beete weiße Ventilatoren schmucke am
3-D-Printer gefräste Räder antreiben, über Ausschnitte in den Wänden mit dem
eindringenden Tageslicht analog geheimnisvoll kosmische Sphären gezaubert
werden. Wir staunen über die Ballwurfmaschine im vierten Raum mit seinen
grotesken Umrissportraits. Man wundert sich über Parade aus Kisten und
Paketrollen aus Holz statt aus Pappe im sechsten, die mit kleinen aufgeklebten
Zeichnungen wundersame Adressaten aus einer anderen Welt suggerieren und den
Betrachter dergestalt ein- und ausschließen wollen.

Coda und Reprise im siebten
und letzten Saal mit „Ein Baum ist ein Tier mit Blättern“. Das erste Wort,
„Blätter“ ist auch das letzte. Wie die Geste, das Ziehen einer Linie. Sie
teilt, sie scheidet und ruft im letzten Saal über alle vier Wände als „Martillo
neto Guernica“ überwältigend und verstörend eine apokalyptische Vision auf, die
wir wohl kaum ertragen könnten, wenn uns die Welt nicht gleichzeitig durch die
Kunst so schön und verschieden vermittelt wäre.

 

eigentlich müssten wir sie alle lieben. Kunstmuseum Solothurn

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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