Drop-Down – Zürichs Art and the City – Paralipomenon II

Bis zum 23. September 2012 beglückt die Stadt Zürich ihre Einwohner mit einer stattlichen Anzahl von künstlerischen Eingriffen im öffentlichen Raum. Doch wen kümmert das?

Fast scheint es, als erneuere sich in unseren Tagen das traute Märchen vom schönen Königskind hinter Dornenhecken, das endlich von seinem Prinzen geküsst, erwacht. Tatsächlich schien Zürich, seit ihren Stadtheiligen Felix, Regula und ihrem treuen Begleiter Exuperantius die Köpfe abgeschlagen wurden, recht wenig mit der Kunst am Hut zu haben. Erst spät, gegen Ende des 19.-Jahrhunderts, entschloss sich eine Schaar mäzenatisch ambitionierter Bürger, etwas mehr für die Musen zu tun, sammelten, meist Franzosen, förderten aber auch talentierte Landeskinder und hoben das Kunsthaus aus der Traufe.

Mit der Gegenwartskunst hatte die Stadt an der Limmat dennoch bis weit nach den Reduit-Jahren ihre liebe Not. So war auch die Schaar der Ritter, die sich in den 1980er-Jahren aufmachten, für die spröde Schöne ihre Lanze zu brechen, um sie aus ihrem Schlaf zu küssen klein. Fast, so schien es, als agierten sie auf verlorenem Posten, bis, ja bis sich auch in den Verstandsetagen der Zürcher Banken und Immobilienverwerter die Formel herumgesprochen hatte: Kunst = Standortfaktor = Kapital. Was also wäre Stadt ohne Kunst, Kunst ohne Stadt?

Art and the City – heisst nun die städtische Grossveranstaltung, die das vernachlässigte Kind in den Hof der allgemeinen Aufmerksamkeit zu katapultieren sucht, indem sie Publikum und Passanten mit dreiundvierzig Positionen zeitgenössischen Kunstschaffens, zumeist im Kreis 5, dem deklarierten „Trendquartier“ der Limmatstadt, platziert, überraschen will. Das ist alles in allem erfreulich. Kunst tut selten weh, und Denkmale werden, frei nach Musil, eh erst wahrgenommen, wenn sie nicht mehr da sind. Sicherlich gibt es bei Art and the City auch Arbeiten die überraschen, bemerkenswert und nachhaltig sind, so, dass man sie vermissen wird, wenn sie nicht mehr da sind, wie Elisa, 2012, der Baggerarm von Arcangelo Sassolino an der Pfingstweidstrasse, der sicherlich mit dem Ende der Veranstaltung im September verschwinden wird.

Dennoch sträubt sich etwas gegen diese Schau. Ist es allein der Titel „Art and the City“, der sich des Brands einer abgespielten HBO-Serie bedient? Man reklamiert damit automatisch sexiness, wo aller Wahrscheinlichkeit nach keine vorzuweisen ist. Verbirgt sich also hinter dieser Anleihe nicht eine tiefe Unsicherheit, die sich im gesamten Rahmen der Kunstpräsentation niederschlägt und sich nicht zuletzt in der akquirierten Kunst selbst zeigt?

Ein Beispiel, die Arbeit der kubanischen Künstlergruppe Los Carpinteros am Escher-Wyss-Platz: Der Escher-Wyss-Platz ist durch eine aufgepfeilerte Hochstrasse aus den 1970er-Jahren eine städtebauliche Zumutung ohne gleichen. Die Arbeit Catedrales, 2012 besteht nun aus vier, etwa vier Meter aufgemauerten Stelen, die bei näherem besehen Aufsätze für Akkuschrauber darstellen. Für den, der es weiss, oder den, der es an einer daneben angebrachten Tafel nachliest, eine Anspielung auf die in der Gegend ehemals ansässigen Maschinenbauunternehmen, die  in den 1980er-90er-Jahren eine nach der anderen den Standort aufgegeben hatten. So weit so gut und geschenkt, die Diskussion, ob die gemauerten Stelen gerade hier her passen, weil sie wie die Hochstrasse eine ästhetische Zumutung darstellen. Weniger sexy ist nun der Umstand, dass wenige Meter neben dieser symbolischen Findung vor vier Jahren ein Projekt der Stadt Zürich durch massive SVP-Schützenhilfe„bachab“ ging. Nach einer Volksabstimmung 2008 stand das „Nagelhaus“ des Berliner Künstlers Thomas Demand nicht mehr auf der Agenda. Man verlässt den Ort nun leider mit dem unguten Gefühl, dass mit den monumentalen Klinkerakkuschraubaufsätzen grade in der Evokation von Geschichte, Geschichte in ihrer Möglichkeit und damit Gegenwart einfach zugekleistert wird.

Sex and the City, Art in the City – beides kriegt man nicht so leicht zusammen. Auf ihren Kuss muss Zürich, die Schöne, vielleicht noch warten.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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2 Antworten zu Drop-Down – Zürichs Art and the City – Paralipomenon II

  1. Hans schreibt:

    Lieber Marmor-Sofas als Plastik-Teddys 😉

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    • maxglauner schreibt:

      Lieber Hans, danke für deinen Kommentar. Das ist natürlich richtig und als Argument nicht zu widerlegen, zumal es Städte gibt, in denen man sich vor lustig bemalten Plaste-Bärchen nicht mehr retten kann – siehe Berlin.

      Beste Grüße

      Max

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