Text und Fotos: Max Glauner
Schlimmer geht’s immer. Mit dieser trivialen Einsicht relativiert sich ein gerne gegen die Kunstkritik erhobenes Argument: Ihre Einwände seien zwar schön und gut, doch man könne sich an Stelle des inkriminierten Kunstwerks noch etwas Schlimmeres vorstellen. Man solle sich doch über die Arbeit besser freuen – so der Subtext –, als daran rumzumäkeln.
Mein Paralipomenon „Drop-Down – Zürichs Art and the City“ replizierte ein aufmerksamer Leser mit dem augenzwinkernden Kommentar „Lieber Marmor-Sofas als Plastik-Teddys“ und behält damit in Anspielung auf die beiden Marmorsofareplika von Ai Wei Wei am Zürcher Paradeplatz, an deren Stelle man sich bei unbedarft populistischen Marketingaktionen auch lustig bemalte Zürcher Löwen, Polyesterkühe oder Berliner Buddy-Bären vorstellen könnte, natürlich recht.
Der Kommentator spricht aus Erfahrung. Wie schwer sich aufgeklärt demokratische Gemeinwesen mit ihrer Gegenwartskunst tun, zeigt sich gerade in der Heimatstadt der Plastik-Teddys, Berlin, wo es in Anbetracht der Allgegenwart des Wappentiers in findig bemalten Ausführungen, stehend auf allen Vieren, stehend auf zwei Beinchen, et cetera schwer fällt, andere Schöpfungen kreativer Geister im Stadtraum zu entdecken. Hier offenbart sich das eklatante Gefälle zwischen Kunststadtanspruch und der ästhetischen Bildung ihrer tonangebenden Klasse.
Auf bemerkenswerte Weise hat sich die Republik Irland dieses Antagonismus enthoben. Buddy-Bären-Kühe oder, wie man denken könnte, meterhohe Plastikharfen findet man dort im öffentlichen Raum vorläufig nicht. Statt dessen stösst man in jedem noch so kleinen Kaff auf mindestens ein Exemplar dessen, was man mit der Gattungsbezeichnung „Sentimental Sculpture“ bezeichnen könnte. Es handelt sich dabei um etwas überlebensgrosse Bronzefiguren, die mit kleinen künstlerischen Stilabweichungen eine reale oder fiktive Persönlichkeit des Stadtlebens präsentieren. Sämtliche Exemplare wie Molly Malone oder James Joyce in Dublin zum Beispiel sind in den vergangenen zehn Jahren aufgestellt worden, genrehafte Wohlfühlkonterfeis mit Wiedererkennungswert, die das Publikum bei seinen Erwartungen abholen. Man posiert feixend, zückt den Fotoapparat und geht befriedig weiter.
Geht es noch Schlimmer? Zürich kann aufatmen, denn ihm sind solcherlei Zumutungen weitgehend erspart geblieben, sieht man von kleinen Ausrutschern ab. Zufall oder nicht, doch ausgerechnet dem Iren James Joyce stiftete die Stadt Zürich 1966 für dessen Grablage in Fluntern eine Sentimental Sculpture, ein Autorenpotrait, das in artistischen Verrenkungen sitzend Stöckchen, Buch und Zigarette zu equilibrieren sucht.
Natürlich lässt sich auch zu diesem Kunststückchen sagen, es sei besser als eine andere denkbar schlechtere Arbeit. Damit stösst man unweigerlich auf den unendlichen Regress dieser populären Argumentation. Man kommt einer künstlerischen Arbeit, romatisch-idealistisch gesagt, nur immanent bei: Sie allein setzt sich Massstäbe. Kunstritik kann nicht mehr als diesen nachzuspüren, diese aufzeigen und daraus ihr Urteil fällen, das sich aus der Differenz von Anspruch und eingelöster künstlerischer Durcharbeitung, oder besser, Hingabe ergibt.