Von Investigation, Intervention und Innovation

Drei neue Publikationen aus dem Kontext Kunst.

Feld-, Kunst- und Wiesenforschung – Ein echter „Koffer“, 460 Seiten, für jeden, der mitreden will ein „Must“: „Das Kunstfeld. Eine Studie über Akteure und Institutionen der zeitgenössischen Kunst“, herausgegeben von der Direktorin des Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich Heike Munder und dem an der Universität Lüneburg lehrenden Ulf Wuggenig. Für den, der für Museumsbesucherbefragungen, empirische Sozialforschung, Mapping und Balkendiagramme etwas übrig hat, sicher ein Gewinn. Für die eher kritischen Zeitgeister, eine Einladung über Reichweite und Aussagekraft demografischer Arbeiten nachzudenken. In jedem Fall jedoch für alle beruhigend, denn die Ergebnisse bestätigen bis auf kleine Ausreißer, was man immer schon geahnt hat: Es gibt ihn, den kritischen Museumsbesucher und Kunstfeldakteur. Das Kunstfeld. Eine Studie über Akteure und Institutionen der zeitgenössischen Kunst am Beispiel von Zürich, Wien, Hamburg, Paris, Hrsg. Heike Munder, Ulf Wuggenig, Verlag JRP/Ringier, Zürich 2012

How to get Lufthoheit – Bei einer Eingabe des Worts „Intervention“ bei Google – selbst schon ein Eingriff, also eine Intervention – werden innerhalb von 0,75 Sekunden 227 Millionen Einträge aufgerufen. Der Gebrauch des Begriffs ist inflationär: Mal kaschiert er gewaltsame Eingriffe, wie im Kontext von Völkerrecht, Krieg, Pädagogik oder Wirtschaft, mal dient er als Kampfbegriff, wie im Zusammenhang von sozialem und politischem Aktionismus und in den letzten Jahren vermehrt in Städtebau und Gegenwartskunst. Licht ins Begriffsdunkel bringt jetzt die kleine Publikation des Merve Verlags „Glossar der Interventionen“, herausgegeben durch eine DFG-geförderte Forschungsgruppe an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Bei 150 Einträgen auf 270 Seiten, von „Aktivistische Intervention“ bis „Zufallsintervention“ alphabetisch geordnet, mit erfreulich trocken Texten, und reichlich Quellenangaben fühlt man sich ebenso gut informiert wie unterhalten. Das lädt zum Stöbern und gewährt Einsichten. Einzig das Fehlen eines Index und Personenregisters schränkt die Tauglichkeit dieses ansonsten nützlichen Büchleins ein. Das sollte jedoch nicht dazu verleiten, auf eine Online-Version zu warten. Das „Glossar“ gehört jetzt unter den Tannenbaum. Glossar der Interventionen. Annäherung an einen überverwendeten aber unterbestimmten Begriff, Hrsg. Friedrich von Borries, Christian Hiller, Daniel Kerber, Friderike Wegner, Anna-Lena Wenzel, Merve Verlag, Berlin 2012

Visibility – und keiner schaut hin – Mag der Wille zu Kunst noch so beherzt walten, die Wahrscheinlichkeit, dass ein hoffnungsvoller Wurf, auf  den Wühltischen des Betriebs landet, ist nur allzu groß. Doch wie das mit Wühltischen so ist: Dort findet sich manches, dessen unerkannte Weitsicht, nur darauf wartet,entdeckt zu werden. Zu den Trouvaillen der letzten Zeit gehört zweifelsohne jenes schmale Büchlein, das unter dem sperrig-merkantilen Titel „BMW Art Guide by Independent Collectors“ nicht gerade gutes verspricht, bei näherem Besehen jedoch echtes Potential entfaltet. Man stelle sich vor, man kurve gerade mit seinem BMW X5 Offroader durch die Strassen von Kiew. Da erscheint ein rotes Kontrolllicht auf dem GPS-gesteuerten Display. Es signalisiert „private collection of contemporary art ahead“  und schwups, steuert man wie von Zauberhand geleitet, vor das Pinchuk Art Center, Velyka Vasylkivska Ecke Baseyna Straße. Ein dezentes, automatisch gesteuertes Hupen lässt nun den bereitstehenden Groom herbeieieilen, der die teure Karosse ins nächste Parkhaus befördert. Der Automobilist und Kunstliebhaber kann sich währenddessen im Museum an Jeff Koons` Hanging Heart in Magenta und Gold erfreuen.

Utopie? Nein. Die Phantasie wird mit dem Art Guide der Bayerischen Motorenwerke zur greifbaren Wirklichkeit. Denn eines haben der moderne Mensch, die Kunst und das einfache Industrieprodukt gemeinsam: Wo jeder und alles Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nimmt, müssen sie vor allem um „Visibility“ bemüht sein, ein Begriff aus dem Marketingdeutsch, der vor allem das Produzieren eines Hinguckers mit nachhaltiger Kundenbindung meint. Dass auch der Sammler zeitgenössischer Kunst unter einem Aufmerksamkeitsdefizit leiden könnte, hat der BMW Art Guide messerscharf erkannt und liefert gleich das geeignete Vademekum: Auf 160 Seiten bemüht er sich unbescheiden jede auf der weiten Welt verstreute private Sammlung zeitgenössischen Kunstschaffens mit Zugang für jedermann aufzuspüren und ins rechte Licht der Öffentlichkeit zu rücken, alphabetisch und nach Ländern geordnet. In den kurzen Texten zu jeder der 174 Sammlungen erfährt der Leser zwar nicht, wie zum Beispiel Herr Pinchuk die Sammlung finanziert, dafür aber, dass er für einen Gursky 3,3 Millionen Dollar auf den Tisch gelegt hat. Auch nimmt der Leser das humorige Statement des Oligarchen, die Besucherschlange vor seinem Museum sei jetzt die einzige im Land, gerne zur Kenntnis. Damit man sich da nicht erst einreihen muss, werden für die Voranmeldung dankenswerter Weise gleich Telefonnummern und Webadressen mitgeliefert. Dazu wird jedem Länderteil, und hier liegt das eigentliche Potential des Büchleins, der Umriss der Staatsgrenze vorangestellt, in den die  Ziffern für die nachfolgend aufgeführte Sammlung eingetragen ist.

Was läge nun näher, in einer zweiten Auflage hier noch die geodätischen Angaben für das GPS anzugeben? Und im nächsten Schritt gibt es den BMW Art Guide serienmäßig als Teil der hauseigenen Efficent- Dynamics-Technology: Durch ein Signal auf dem Display im Cockpit des Fahrzeugs könnte für jede Private Collection in der Umgebung sofort „Visibility“ hergestellt werden, samt Angaben zum Benzinverbrauch, Parkplatzsituation und dem Gesamtwert der ausgestellten Werke. Noch ist das Zukunftsmusik. Doch man darf auf die up-dated Version gespannt sein. Denn damit ließe sich eine echte Win-Win-Situation generieren. Wir lebten endlich in einer Welt, in der, wenn nicht jeder Automobilist, so doch wenigstens jeder BMW-Fahrer als potentieller Kunstliebhaber und jeder Kunstliebhaber als passionierter Automobilist geoutet wäre.  BMW Art Guide by Independent Collectors. The First Global Guide to Private and Publicly Accessible Collections of Contemporary Art, Hatje Cantz, Ostfildern 2012

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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