Nach Jahrtausenden erblickte vor genau 100 Jahren, am 6. Dezember 1912, das wohl bekannteste Exponat der Staatlichen Museen zu Berlin erneut das Licht der Welt: die Büste der altägyptischen Königin Nofretete. Anlass ihr und ihrer Zeit im Neuen Museum eine umfangreiche Ausstellung zu widmen – ihr Ursprungsland Ägypten bleibt dabei außen vor
Der Heilige Nikolaus hielt am 6. Dezember 1912 für die Herren der Deutschen Orientgesellschaft ein ganz besonderes Geschenk bereit: In einem bis zu den Grundmauern zerstörten Haus des ägyptischen Nilortes Tell el-Amarna fand sich eine, wie es in den damaligen Inventarlisten lapidar hieß, „bemalte Büste der Königin.“
Der schönste Gipskopf der Welt, die „Büste der Nofretete“, ist, mit einem Kern aus Kalkstein ausgestattet, über 3.300 Jahre alt. Mitsamt seiner Bemalung zeigt er sich bestens erhalten, sieht man von Schäden an den Ohren ab und dem linken Auge, das bis heute fehlt. Aug und Ohren wären, hätte man die Statue 50 Jahre früher gefunden, zweifellos ergänzt worden, was den Reiz, den sie heute auf die Besucher ausübt, erheblich schmälerte, denn gerade dieser Makel verleiht dem makellosen Porträt Geschichte und Authentizität. Dass sie in einem Bildhaueratelier gefunden wurde, wahrscheinlich als Muster für öffentliche Darstellungen der Gattin des Echnaton diente, trug ebenso zum Mythos des 50 Zentimeter hohen Bildwerks bei, wie die idealisierte Schönheit der Porträtierten, die sie neben Mona Lisa und Micky Maus unter die Top Ten des kulturellen Common-Sense katapultierte.
Was also liegt näher, als dem freudigen Fundereignis in einer Ausstellung zu huldigen: Ab dem 6. Dezember zeigt das Neue Museum „Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete“. Während man die Büste im zweiten des Hauses Obergeschoß für gewöhnlich bar jeden Zusammenhangs als isoliertes Meisterwerk präsentiert, soll sie die Amarna-Schau nun in einen größeren Kontext stellen. Mit teilweise nie gezeigten Fundstücken will Kuratorin Friederike Seyfried die Zeit der Nofretete, die Kultur und das Leben der Leute damals erfahrbar machen. Leihgaben des Louvre, des Metropolitan Museum of Art und des British Museum ergänzen die Berliner Bestände. Doch wo bleibt das Ägyptische Museum in Kairo als Leihgeber, wo doch die andere Hälfte der Nikolausgaben von 1912, gut 4000 Artefakte der Nikolausgaben lagern?
Allein am Gabentisch
Doch da wird die Sache kompliziert. Sofort, nachdem man die Nofretete 1924 in Berlin erstmals der Öffentlichkeit zeigte, wurden Rückgabeforderungen laut. Zwölf Jahre war sie in Privatbesitz des Mäzens James Simon, der die Amarna-Grabungen finanziert hatte und der sie schließlich dem Freistaat Preußen vermachte. Der Grabungsleiter, Ludwig Borchardt, fürchtete um seine Lizenz, würde das schöne Fundstück bekannt. Er ahnte er, dass die Rechtmäßigkeit der damals üblichen Fundteilung von französischer Seite angezweifelt würde. Diese stand im britisch besetzten Ägypten noch in den 1920er-Jahren dem staatlichen Antikendienst vor. Die Debatte um eine Rückgabe zog sich bis zu einem endgültigen Nein des Kulturministeriums 1930 hin. Die späteren Pläne Görings und Göbbels’, die Büste als Morgengabe zum Kronjubiläum des ägyptischen Königs Fuad I. an den Nil zurückzuschicken, wurden aus der Reichskanzlei unterbunden.
Dankenswerter Weise wird auch diese Geschichte in der Ausstellung ausführlich bis in die Gegenwart erzählt, mehrten sich doch seit der Jahrtausendwende und mit der Eröffnung des Neuen Museums die Stimmen, die für eine Rückgabe der Nofretete eintreten. Inzwischen ist zumindest die juristische Seite zweifelsfreigeklärt, nach der die Fundteilung und die Ausfuhr der Amarna-Artefakte ohne Tricks über die Bühne ging.
Bleibt also das moralische Argument, das besagt, die Nofretete sei identitätsstiftendes Symbol der ägyptischen Nation. So war es wiederholt vom Chef der Altertümerverwaltung Zahi Hawass zu hören, der mit britischer Unterstützung ein inzwischen im Rohbau fertiggestelltes Museum in Tel El-Amarna errichten wollte: „Die Nofretete gehört an ihren Entstehungsort.“ Hawass, kurzzeitig auch Kulturminister, musste allerdings seinen Posten mit dem arabischen Frühling räumen. Doch wie steht die neue ägyptische Regierung, der liberale Kulturminister Mohamed Saber Arab und Hawass` Nachfolger in der Altertümerverwaltung, Mustafa Amin dazu? Sie werden Wichtigeres auf der Agenda haben. Doch immerhin haben die Staatlichen Museen eine ägyptische Delegation nach Berlin eingeladen. Wer da kommt, wurde nicht verraten. Aber man kann hoffen, dass die Damen und Herren nicht wieder am postkolonialen Katzentisch Platz nehmen dürfen., sondern mit Europa an der großen Tafel feiern können.
7.12.12.-13.4.13: Neues Museum, Bodestr.1-3, Berlin http://www.imlichtvonamarna.de