Ein weiterer Rückblick: Die Kunsthalle eröffnete im Sommer 2012 das neue Löwenbräu-Areal – clever gedacht und clever gemacht – mit Arbeiten von Wolfgang Tillmans, „Neue Welt“
Um ein Haar wäre Schluss gewesen: Das Zürcher Löwenbräu Areal, in dem seit 1996 die Züricher Kunsthalle und das unternehmenseigene Migros Museum für Gegenwartskunst mit einer Reihe von Galerien, darunter die von Hauser & Wirth, Bob van Orsouw und Eva Presenhuber untergebracht war, sollte in einen renditeträchtigen Büro- und Wohnkomplex verwandelt werden. Zumindest die öffentlichen Einrichtungen hätten sich dann wieder an der Peripherie der Limmatstadt wiedergefunden. Die Gegenwartskunst ist in Zürich erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten als Standortfaktor erkannt worden. Wohl auch darum entschloss sich die Stadt in letzter Minute, sich zu einem Drittel an einer von den Museen getragenen Löwenbräukunst Aktiengesellschaft zu beteiligen. Sie kaufte nach zwei Jahren umfangreicher Sanierung und Ausbau die neuen Räume vom Projektentwickler und vermietet davon Teile unter anderem an die Luma Stiftung und Galerien.
Am 31. August gab es die feierliche Eröffnung, zumindest bei der Kunsthalle und den größeren Galerien wie Hauser & Wirth, während das Migros Museum seine erste Ausstellung in den November verschieben musste. Doch eines war schnell klar: Der Charme und die Herausforderung des ehemaligen Industriebaus ist erst einmal verloren. Zwar haben sich die Architekten des kurz zuvor in der Nachbarschaft des Industriequartiers Zürich-West eröffneten 120 Meter Prime Tower Gigon/Guyer redlich bemüht, die Substanz zu erhalten, doch das Unverwechselbare wie die legendäre, viel zu schmale Haupttreppe ging, ebenso wie der Charakter vieler Ausstellungsräume, verloren. Statt Abwechslung überwiegt nun White-Cube-Standard. Dafür besitzt die Kunsthalle nun 1´200 statt 800 qm Ausstellungsfläche und kann temporär, wie jetzt zur Eröffnung, zusätzlich zwei Säle der Luma Stiftung übernehmen. In den angestammten Räumen zeigte die junge Künstlerin Helen Marten bodennah wuchernde Installationen, während in den neuen Räumen im 2. und 3. Obergeschoß die Foto-Arbeiten aus Wolfgang Tillmans` „Neue Welt“ zu sehen waren.
Die Wiedereröffnung mit Tillmans trug taktisch-programmatische Züge. Mit ihm verbindet die Kunsthalle Vergangenheit: Hier hatte der junge Fotograf im Frühjahr 1995, damals noch im längst abgerissenen Schöller-Industrieareal, die erste institutionelle Einzelausstellung. Der optimistische Titel der neuerlichen Veranstaltung verheißt auch Aufbruch und Zukunft: Eine neue Welt ist für die Kunsthalle die gesicherte Existenz im neuen Löwenbräu Areal. Tillmans schuf dazu auch gleich die apotropäische Ikone: In „Headlight (b)“ (2012) zeigt er nahsichtig, einen modisch gestylten Autoscheinwerfer, hinter dem die Haifischaugen eines aggressiven Immobilienspekulanten zu blitzen scheinen. Fotografiert hat er dieses Chromobjekt in einer Tiefgarage in Hobart auf Tasmanien. Nun hängt es als Tintenstrahldruck von 138 x 207 cm neben „Jurys Inn“ (2011), die Abbildung einer Hotelzimmerecke und „blacks“ (2011), eine ebenso nahsichtige Rückenansicht, in der nur die Falten einer schwarzen Arbeitsmontur zu erkennen sind.
Tillmans ist in den letzten Jahren viel gereist. Um die ganze Welt, von London nach Südamerika, Afrika, Australien und Asien – immer nur kurze Aufenthalte, die Oberflächen auf ihren Bestand hin besehen und weiter. Davor hat er lange Zeit Distanz zu seinen frühen Arbeiten genommen, vorwiegend abstrakte, malerische Fotografie betrieben. Er wollte nun wissen: „Wie sieht die Welt aus, 20 Jahre nachdem ich angefangen habe, mir von der Welt ein Bild zu machen? Kann es einen „neuen“ Blick auf sie geben?“
Was sieht er? Was zeigt er uns? Es sind Momentaufnahmen, kurze Einblicke in Vorgänge und Lebensverhältnisse, die Tillmans wie dem Betrachter fremd bleiben, doch in ihrer Andersheit weder denunziert noch gefällig gemacht werden: Menschen, Maschinen, Transportmitteln, Behausungen gilt sein besonderes Augenmerk und dem Sternenhimmel, wo er es mit naiver Freude mit den elaborierten Fotoarbeiten von Thomas Ruff aufnimmt. Immer wieder sind in den Aufmarsch der dokumentarischen Bilder seine gegenstandslosen, abstrakten Arbeiten gehängt, als wolle er den Betrachter in der Bilderflut auch einmal Atem holen lassen, – zum Beispiel wenn er „Silver 94“ (2012) neben den drolligen Tukan in „Tukan“ (2012) hängt. Tillmans Bilder verstören nicht, sie wollen nicht wachrütteln. Bilder von Krieg, Gewalt, oder auch von Liebe und Sexualität sind ausgespart, als wolle er die Einsicht bestätigen, dass die Menschen im Großen und Ganzen all überall unaufgeregt einem geregelten Tagwerk nachgehen. Tilmanns Bilder sind so Bestandsaufnahmen des Banalen ohne selbst banal zu sein, und es Bedarf oft nur einer kurzen Überlegung, die Anstrengung und das Leid des von Tillmans dokumentierten Lebens zu erahnen, wenn nicht in seiner vollen Wucht zu spüren: Der Tintenstrahldruck „Ushuaia Lupine (a)“ (2010) präsentiert den Schmetterlingsblütler übergroß im vollem Saft, dahinter der Fährhafen von Lampedusa, der in den letzten Jahren durch das Flüchtlingselend aus Nordafrika traurige Berühmtheit erlangte. Oder man sieht die Fliege auf einem monumental präsentierten Berg Langustenschalen („astro crusto a“ 2012), ein klassisches Memento Mori, das direkt neben einem Foto eines arabischen Jungen („young man, Jeddah a“, 2012) und dem Bild von einem wuseligen afrikanischen Markt („Market I“, 2012) darüber zu denken gibt, wie fragil und verletzlich Menschen und Gemeinschaften sein können. Tillmans Bilder drängen sich nicht auf, doch sie vermitteln die kraftvolle Lust des unverstellten Blicks. Einzig die Präsentation konnte Fragezeichen hinterlassen: Warum mussten die Fotografien auf XXL-Format getrimmt werden? Warum dieser gleichförmige Bilderreigen im Gleichklang mit dem strengen Deckenraster und den Fenstervertikalen? Die Antwort liegt schlicht darin, dass es der Kuratorin Beatrix Ruf mit dieser Ausstellung, nicht allein darum zu tun sein konnte, den Künstler Tillmans auszustellen, sondern mit Tillmans die neuen Räume. Raum und Bilder haben sich dabei im Lot gehalten, kuratorisch einwandfrei, – Chapeau!
Katalog: Wolfgang Tillmans. Neue Welt, Hrsg. Wolfgang Tillmans. Mit einem Interview mit Beatrix Ruf, Kunsthalle Zürich, Köln 2012
Der Text erschien in leicht veränderter Form zuerst im Kunstforum International Band 219.
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