Die marokkanische Künstlerin Latifa Echakhch mit ihrer Installation Goodby Horses im Kunsthaus Zürich – ein Rückblick
Der Besucher der 54. Venedig Biennale vor zwei Jahren hat sie noch gut in Erinnerung: Einige Duzend weiße Fahnenstangen ohne Fahnen, zehn Meter hoch, munter schief aus der Vertikalen gekippt, säumten einen Großteil des Wegs vom Eingang der Giardini zur großen Ausstellungshalle. Das aus den Fugen geratene Spalier schrie nicht danach gedeutet zu werden. Der fröhliche Torkelschritt der hochgereckten Masten ließ zuerst an Minimalismus und konkrete Kunst denken, bevor politische Fragen aufkeimten. War mit dem windschiefen Cluster die verworrene Weltlage gemeint? Nationalstaatlichkeit, die unseren Weg behindert? Oder sollte gar die Utopie einer globalen Egalität heraufbeschworen werden? Das war weder schlecht gemacht, noch fehl am Platz. Doch die Arbeit Fantasia der 1974 in Marokko geborenen, in Paris aufgewachsenen Wahlschweizerin, Latifa Echakhch blieb zu sehr im Landschaftspflegerischen und hermeneutisch im Beliebigen, als dass die Arbeit wirklich hätte packen können.
Dass sie es auch präziser kann, hat Latifa Echakhch drei Jahre zuvor 2008 bei ihrem ersten Museumsauftritt im Rahmen der Themenausstellung „Shifting Identities“ am Zürcher Kunsthaus bewiesen. Unter den vier Arbeiten der Künstlerin war zum Beispiel eine 22 x 28 cm große Messingplakette mit der Gravur, „Alien of Extrordinary Ability“ zu sehen, eine einschließend-ausschließende Zuschreibung, mit der die U.S.-Einwanderungsbehörden VISA-Distinktionen vornehmen, eine Praxis, die mit dem Schild exponiert und konterkariert wurde. Auch die Fahnenmasten waren zu sehen. Die Ur-Version von Fantasia (Empty Flag) aus dem Jahr 2007 ist für einen Innenraum konzipiert. Auf Hüfthöhe sind Bündel von drei Meter langen schwarzen Fahnenstangen an der Wand befestigt, die in einem klirrenden Gewirr nach oben streben. Minimalistisch ist auch diese Installation, doch beim Betrachter stellt sich unmittelbar ein Gefühl der Bedrohung ein. Statt ein schützendes Dach zu bieten, scheinen die Stangen wie im Kampf erstarrt – ein bestechendes Bild für staatlichen Anspruch, Macht und Repression, wobei der Schweizer vielleicht auch noch an die Landsknechts-Heere in den Schlachten bei Sempach und Marignano denken mag.
Seitdem ist Latifa Echakhch gefragt. Ihre eindrückliche Installation À chaque stencil une révolution, der Titel nimmt eine Losung des Palästinenserführers Jassir Arafats auf, zeigte einen Raum, den sie vollständig mit blauem Durchschlagpapier tapezierte. Durch die Behandlung mit Methylalkohol bildeten sich kräftige Schlieren, die zwischen Ornament und Spur der Zerstörung von den Wänden auf die Böden flossen. Die Matrizenwand, 2007 konzipiert, kam mit Fantasia noch 2008 in die Tate Modern und wurde 2010 zur Art Unlimited nach Basel eingeladen.
Die Erwartungen an ihre Ausstellung „Goodby Horses“ im Kunsthaus Zürich waren also hochgesteckt. Doch sie wurden, um es vorwegzunehmen, enttäuscht. „Goodby Horses“ bestand im Wesentlichen aus vorgefundenen Objekten aus der Welt des Zirkus. Lag es an der Schwäche der Arbeiten? Oder gab es kuratorische Fehlentscheidungen? Oder lag es an den schwer zu bespielenden Räumen des Kunsthauses?
Für kleine Ausstellungen stehen ihm lediglich ein Kabinett und eine Raumflucht im Erdgeschoß des Anbaus von Erwin Müller aus dem Jahr 1976 zur Verfügung. Diese wird allerdings vor allem als erweitertes Treppenhaus wahrgenommen – eine Transitsituation, die kaum zum Verweilen einlädt und keinem Kunstwerk Ruhe lässt.
Hier nun waren die Objekte von „Goodby Horses“ ausgebreitet. Bereits in der Enfilade vom Eingang durch den Moser-Bau hindurch war ein munter rot-gelbes Zirkuszelt (Untitled, Circus Tent, 2012) zu sehen, – „Brand“ und Verheißung der kleinen Schau. Wie ein müder Elefant breitete sich seine Plane über den glatten Boden, reckte sich über eine erste Stange in die Höhe, um sich durch eine zweite in einem eleganten, letzten Schwung mit bunten Wimpeln in den ersten Stock emporzurecken. Das war einfach und schön. Nie hatte man die Treppenhaussituation so lakonisch konterkariert gesehen, und oben an der Treppe sah man durch die Zelt-Fähnchen von Latifa Echakch Franz Gertschs Silvia III, an der Wand und den Pferdebalg von Berlinde de Bruyckere auf dem Boden des Saals mit anderen Augen. Ist die Kunst nicht erkauft durch die Abwesenheit von Leben? In dieses Memento schrieb sich Echakchs „Goodby Horses“ ein, wenn sie neben dem Zelt, das seine Vorstellungen hinter sich hat, keine Pferde- und Trapeznummern mehr aufführt, deren Relikte präsentiert: Podeste, Equilibristenutensilien, samt deren abgelegte Kostüme, ein Rhönrad, die Keulen von Jongleuren, als seien sie wie ein Splash von Richard Serra in die Ecke gepfeffert worden (Untitled, Juggling, 2012), ein großer blauer Ball, Stühle von waghalsigen Artisten in einen Turm gestapelt. Der Besucher nahm das ausgebreitete Material gerne zur Kenntnis, rief die Legion melancholischer Clowns von Picasso, Rouault bis Cindy Sherman und Paul McCarthy auf. Dann waren die hinterlassenen Trikots immer einem männlichen und weiblichen Akteur zuzuordnen, was einen Genderdiskurs wachrufen mochte. Doch spätestens bei Untitled (Five Figures), 2012 war Schluss mit dem wohlwollenden Verständnis. Die Künstlerin hatte fünf Paillettenrevuekostüme mit Kopfputz samt Schuhen anfertigen lassen, die nun im dekorativen Kreis herumlagen. Sie sollten die These, die das Zelt bereits vermittelte, noch einmal beibringen.
Hätte man ihr dieses Arrangement wie so manches andere nicht besser ausreden müssen? Man hätte die aufdringliche Überdetermination und die Unschärfe der Form verhindern können – womit die eklatante Schwäche der kuratorischen Seite angesprochen wäre. Dabei zeigte „Googby Horses“ durchaus Potential. Neben der Zeltskulptur entwickelte sich der blau-gelbe Halbkreisbogen einer Manege in den hinteren Ausstellungraum, wo sich die Manegen-Segmente zu einem chaotischen Cluster türmten, als hätte man es mit einem Alterswerk von Frank Stella zu tun. Hier war formal noch ein zweiter Höhepunkt erreicht. Doch das war offensichtlich nicht genug: Auch hier mussten Clownskostüme ausgelegt werden, wohl damit es noch der dümmste August unter den Besuchern verstehen konnte.
Zuerst erschienen in Kunstforum International Bd. 220, 2013