Shanghai-Sfumato

Yang Fudong eröffnet heute Abend seine Werkschau «ESTRANGED PARADISE. WORKS 1993 – 2013» in der Zürcher Kunsthalle. Vor zwei Jahren war er bereits mit opulenten Videofilmen unter dem Titel »Seven Intellectuals in Bamboo Forest« im Kunsthaus Baselland, Muttenz, zu sehen – ein Rückblick.

China und kein Ende. Im aktuellen Fall bediente die Kulturbürokratie aus Beijing die Nordwestschweiz. Vom traditionellen Marionettentheater aus Quanzhou bis zum zeitgenössischen Tanz aus Shanghai war im Rahmen eines über die Ursprünge in Basel 2003 hinaus gewucherten Festivals Culturescapes aufgeboten, was zu haben war. Da sich das bunte Allerlei weitgehend im performativen Feld aufhielt, war die Auswahl im Bereich bildender Kunst für das interessierte Publikum leichter zu treffen. Hier fehlten die Blockbuster-Präsentationen der großen Häuser, die großen Themen und Namen.

Es war dem Kunsthaus des Halbkantons Baselland vorbehalten hier ein Highlight zu setzen: Man konnte dort von Mitte September bis Mitte November und damit zum ersten Mal in der Schweiz den vollständigen fünfteiligen Zyklus Yang Fudongs „Seven Intellectuals in Bamboo Forest“ zeigen. Dass dies im Verein mit zwei weiteren Positionen geschah, die im Niveau deutlich hinter Fudongs zurückblieben, tat keinen Abbruch. Das Kunsthaus an der Grenze von Stadt und Land verfügt in unmittelbarer Nachbarschaft zum Stadion des FC-Basel über großzügige Ausstellungsflächen, von denen vergleichbare Einrichtungen nur träumen können. Das gesamte Erdgeschoß konnte mit Arbeiten der Basler Künstlerin Mireille Gros und dem 1980 geborenen, in Hangzhou beheimateten Zeichner und Videokünstler Sun Xun bespielt werden.

Das Untergeschoß der einstigen Fabrikhallen war ausschließlich Yang Fudong gewidmet. Über die große Treppe im Kunsthaus vollzog man so eine Katabasis, einen Abstieg, einen Aufstieg, ein Eintauchen in eine ganz eigene, traumwandlerisch fremd und vertraut wirkende Welt. Das galt auch für jene, die einen Teil bereits gesehen oder alle fünf Filme auf der Venedigbiennale 2007 kennen gelernt hatten, wo sie in einem hektisch- geräuschvollen Setting zum erstem Mal vollständig gezeigt wurden. Seitdem gab es von Stockholm, Helsinki bis New York eine Reihe von Möglichkeiten die Heptalogie Fudongs in Ruhe zu sehen. Aber kaum eine dürfte in ihrer Präsentation so unangestrengt und überzeugend gewesen sei, wie die in dem Basler Vorort Muttenz.

Die Leiterin des Kunsthauses und Kuratorin der Ausstellung Sabine Schaschl ermöglichte in drei fensterlosen Kellerräumen und einem eingebauten Kabinett sowohl eine Vertiefung in den einzelnen, zwischen 29 und 90 Minuten langen Film, als auch ein gleichsam flanierendes „Zappen“ zwischen den fünf Projektionen der auf DVD gebrachten schwarz-weißen 35-mm-Arbeiten – beides legitime Rezeptionshaltungen zu einem allseits hoch gelobten doch keineswegs unproblematischen Werk.

Man begegnet in „Seven Intellectuals“ einer professionellen Beherrschung der Bildersprachen zwischen europäischem Expressionismus und Neorealismus, trivialen Shanghaifilmen der 1930er-Jahre sowie deren Reflexe in Filmen von Wong Kar-Wai oder Jim Jarmush. Es werden keine Geschichten erzählt, höchstens Angedeutet. Die sieben sind auf der Reise. Wohin? Darüber gibt es keine Antwort. Nur die Szenerien wechseln von Film zu Film, von den mythischen Bergen Huangshans im ersten, in die Stadt Shanghai, von dort aufs Land, dann ans Meer und zurück in die Stadt im letzten Teil. Set und Kostüme liegen zwischen Moderne und Chinaklischee – Nebelberge, Mandelaugenschöheiten, Wasserbüffel im Reisfeld – machen die Arbeiten leicht lesbar, auch und gerade, weil westeuropäische Surrealismus-Patern wie Pferde reitende Schönheiten in der Stadt abgerufen werden, auf Dächern Baseball gespielt wird, oder ein Heer von Köchen auftreten. Yang Fudong wird dadurch zu einem gerne gesehenen Mittler zwischen den Kulturen, doch liegt es nahe, vor allem dadurch, dass er zwar die formale Klaviatur glänzend beherrscht, doch inhaltlich im Vagen, Nebulösen bleibt.

Der Titel entlehnt sich zwar der chinesischen Legende von den sieben Weisen, die sich im dritten Jahrhundert nach Christus von ihren politischen Posten und der Welt in einen Bambuswald zurückzogen, um im Geist es Daoismus zu philosophieren. Doch diese Geschichte bleibt bloßer Anlass. Fudong wird in Interviews nicht müde, zu betonen, dass er mit der Legende nichts anfängt und sie erst recht nicht illustrieren wolle. Der Betrachter kann sich also angesichts der sieben Protagonisten sowohl in einer östlich-daoistischen also auch einer westlich-existenzialistischen Perspektive einrichten. Denn die eine wie die andere Epoché, der Ausstieg aus gesellschaftlich-politischer Verantwortung, kann als legitime Haltung gegen das kommunistische Regime einerseits und den durch es entfesselten Turbokapitalismus andererseits gelesen werden. Doch wie anfällig diese Haltung gegenüber Zumutungen, Vereinnahmungen und Versuchungen ist, zeigt, dass sich im Frühjahr diesen Jahres zu den fünf Teilen ein, wenn auch nicht als solcher ausgewiesener neun Minuten langer Epilog gesellt hat, „First Spring“, der dieselben Bilder und Metaphern etwas lauter abruft, und diesmal für die Modefirma Prada Reklame macht.

Sicher bleibt seine von 2003 bis 2007 entstandene Heptalogie von dieser Simplifizierung weitgehend unberührt. Zu vielschichtig überlagern sich in dem Fünfstundenmaterial suggestive Bildfolgen, laden unfortgesetzte Sequenzen zum weitererzählen ein: Wohin wollen die sieben mit ihren Koffern, am Strand, in der Stadt, als Bauern oder Köche verkleidet? Wohin blickt das erwartungsvolle Auge des Mannes, wird die Schöne den Schönen wieder küssen? Und schon am Anfang fragt es sich, was wohl die kollektive Nacktheit auf dem Bergplatteau vorbereiten sollte, ebenso wie die rituellen Bäder in den folgenden Teilen. Fudong wünschte seinen Figuren einmal die Kraft zur Aktion, zum Neubeginn. In seinen Filmen zeigt er das nicht. Seine Protagonisten sind distanzierte Angebote zur Identifikation. Doch sie bleiben bedürftige Neophyten, denen man eben nicht wünschte durch Designerklamotten Erfüllung zu finden.

Yang Fudong. Seven Intellectuals in Bamboo Forest erschien als Katalogbuch bei Jarla Partilager, Stockholm & Office for Discourse Engineering, Beijing 2008 mit Interviews zwischen Zhang Yaxuan und dem Künstler und mit einem Essay von Molly Nesbyt

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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