Oscar Tuazon revisited

Am Donnerstag eröffnet  Oscar Tuazon im Berliner Projektraum Schinkel Pavillon seine Ausstellung SPASMS OF MISUSE. In der Berner Kunsthalle hatte der U.S.-amerikanische Installationskünstler vor drei Jahren einen ersten späktakulären Auftritt in Europa. Ein Rückblick.

Der Autor des Textes „Art and Objecthood“ Michael Fried hätte hier in Bern sein gefundenes Fressen. Fried polemisierte 1967 in diesem mittlerweile zum Schlüsseltext avancierten Pamphlet gegen den zur „literalistischen“ Kunst abgestempelten Minimalismus eines Donald Judd und Robert Morris. Fried verhängte über ihre Arbeiten kurzerhand das Anathem der „Theatralität“. Sie betrieben Bühnenkunst und Theater, keine Kunst. Die Wertschätzung eines Robert Morris oder Sol Lewitt hat darunter nicht gelitten und, was Fried ein Malus, konnte in den vergangenen Jahren als ein Bonus, vor allem installativer und transgressiver Kunst herausgearbeitet werden.

Wenn man sich einige Zeit in der Ausstellung von Oscar Tuazon im Berner Kunsthalle aufgehalten hat, fühlt man sich an Frieds Polemik erinnert – und an die von ihm so Inkriminierten allen voran Sol Lewitt und Carl André.

Ausgerechnet an dem Ort, an dem Sol Lewitt in den frühen 1970er-Jahren eine seiner ersten Ausstellungen in Europa hatte, zeigt sich nun mit dem jungen Amerikaner mit Wohnsitz in Paris eine Position, die den Minimalismus der Großväter mit einem „Turn of the Screw“ im Skulpturalen weiterzutreiben vermag.

Man wird Oscar Tuazon nicht zu Nahe treten, wenn man seine in mehrere Räume ausgreifende Arbeit aus Holzstämmen und Zement als theatralisch bezeichnet, bevor man sie mit Architektonischem, oder mit Vokabeln eines prozessorientierten Minimalismus beschreibt.

Das Ausstellungshaus des Berner Kunstvereins wurde zwischen 1917 und 1918 als Jugendstilgebäude mit Anklängen an das Art Deco errichtet. Direkt an der Kirchenfeldbrücke über der Aare gegenüber der Berner Innenstadt gelegen, wirkt es wie ein Zollhäuschen, auch wenn seine Formensprache außen wie innen an ein Palais gemahnt: Die Räume sind hier analog zum großbürgerlichen Wohnheim als Heim für die Kunst errichtet. Tuazons Intervention reflektiert dies genau. Um die Struktur der Kunstbehausung deutlich zu machen und zu konterkarieren bebaut und durchbricht er die Räume der Kunsthalle mit vor Ort hergestellten Modulen aus schwerem, grob behandeltem Holz und Beton.

„My job, is to come into a space and fuck it up,“ so formuliert der Künstler sein Kerngeschäft salopp im revolutionären Gestus der Großvätergeneration. Der direkte Zugang zum Allerheiligsten, dem Wohnzimmer, das heißt der Hauptausstellungshalle wird damit durch wuchtige Holzbohlen versperrt. Ein Durchgang gelingt hier optisch wie physisch nur mit Mühe und signalisiert: Entweder man passt sich an oder sucht einen anderen, den eigenen Weg. Das schwere Holz bündelt sich und will sich hier förmlich durchdrängen, auch direkt durch die Wand, um sich im Vestibül wieder zu formieren. Die unbehandelten Stämme setzen sich im Vestibül nach rechts über zwei Stockwerke als rechteckige Rahmen fort und verschwinden schließlich im Nachbarraum: ein Balken auf dem Parkett durch die Tür, ein zweiter unter dem Türsturz hindurch und der dritte in einem Durchbruch der rechten Wand.

Spätestens bei einer Begehung des Hauptraumes wird dem Betrachter deutlich, dass sich das anfänglich unruhige und unklare Gewirr an stützenden und lastenden Holzbalken, verbunden durch Holzschrauben und geschweißten Stahlwinkeln aus einer einfachen modularen quadratischen Struktur besteht, die ineinander verschobenen und auf die vier großen Ausstellungsräume angepasst wurde. Dadurch ist eine komplexe Installation, ein faszinierender Raum im Raum entstanden, der die vorhandene Architektur ebenso attackiert wie affirmiert.

Der Kurator der Berner Kunsthalle Philippe Pirotte hatte dem 1978 in Seattle geborenen und unter anderem bei Vito Acconci ausgebildeten Oscar Tuazon eine „Carte Blanche“ gegeben. Ein Risiko, denn für den Künstler ist der Entstehungsprozess wichtiger als das Ergebnis: „For us the process of making something is more interesting than what it looks like.“ Eine Skizze mit vier auf jeweils zwei Quadraten aufgebauten Rechtecken auf dem Grundriss der Kunsthalle bildete die Ausgangslage für diese sitespezifische Arbeit – für alles weitere gab es keinen Plan, nur die gemeinsame Arbeit Tuazons und seiner fünf Helfer. Auf jedes Quadrat sollte ein zweieinhalb Meter hoher Kubus errichtet werden – den Türhöhen entsprechend und mit Durchbrüchen in den Wänden, so sie im Wege stünden. Auf der Nordseite wurde statt Holz Beton an Ort und Stelle verarbeitet, um das baulich konstruktive wie temporale Moment der Arbeit zu betonen.

Für den Betrachter werden nun mit dem tonnenschweren Material Zeitschichten erfahrbar: Über den Beton und die Schnitte des angestückten, groben Holzes, oder Fehlstellen in der Verarbeitung wird die Zeitlichkeit der Aufbau-Arbeit sichtbar – nur zwei Wochen standen dafür zur Verfügung -, dann die Zeitlichkeit des Materials selbst, das Holz, das mit dem Trocknen Risse bekommt, und schließlich die Zeit des Betrachters, die er hier verbringt und sich gedanklich einrichtet. Tuazons Space wird dadurch zu einem sehr eigenen zeitbestimmten Bühnenraum.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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