Tobias Madison »No; No; H« / Uri Aran »HERE, HERE AND HERE« erprobten zu Jahresbeginn die neue Kunsthalle Zürich unter Black-Box-Bedingungen
ISO-Kisten und Container stehen für die analoge Basis einer ansonsten digitalisierten Welt des Austauschs und der Kommunikation. Kisten, Kasten und Container stellten dann auch das tragende Display zu einer Doppelausstellung zweier weitgehend unbekannter, junger Künstler in der Zürcher Kunsthalle zu Anfang dieses Jahres.
Zum einen zeigte man den 1977 in Israel geborenen, in den U.S.A. ausgebildeten und in New York lebenden Künstler Uri Aran – er wird dieses Jahr in Massimiliano Gionis Venedig-Biennale-Schau „Il Palazzo Enciclopedico“ vertreten sein – in seiner ersten größeren institutionellen Einzelausstellung „HERE, HERE AND HERE“, zum anderen den 1985 in Basel geborenen und an der Zürcher Hochschule der Künste gelernten Fotografen, Künstler und Netzwerker Tobias Madison unter dem ebenso kurzen wie kryptischen Titel: „No; No; H“.
Bei aller Sympathie dem Haus, den Künstlern und ihrer Kuratorin gegenüber, kann man jedoch nur von einer zwiespältigen Veranstaltung sprechen, die, und darin liegt ihr Positives, zwei Künstlerpersönlichkeiten in ein offenes Rennen entlässt.
Außer der Kiste als erzählerischer Rahmen, aus dem sich eine Vielzahl von Narrationen ergeben können, und eine transmediale Praxis eint die beiden Positionen nichts, als ihre Gegensätze: Hier der introvertierte New Yorker Weltbürger Aran, der seine Lebensbezüge auf das Format einer Pizza-Box herunterkocht, dort der extrovertierte Zürcher Madison, der seinen Kunsthallen-Sketch zum globalen Hub erklärt.
Während der eine schon im Titel seiner Ausstellung „HERE, HERE AND HERE“ einen naiven Zeigegestus etabliert, negiert der andere mit seinem „No; No; H“ – ausgesprochen, „no, no, age“, – jede Frage nach Werk- und Jahresangaben und damit jeden Anspruch auf Repräsentation waren die Eröffnungsausstellungen der Kunsthalle von Wolfgang Tillmans und Helen Marten und auch noch darauffolgend von Sturtevant vor allem dazu angetan, die neuen Räume im frisch sanierten Löwenbräu-Areal als ideale White-Cube-Setzungen vorzuführen, so schien man sie nun vor allem unter Black-Box-Bedingungen testen zu wollen.
Der Besucher erlebte die Ausstellungen somit als gleichsam magischen Parcours über jeweils drei beziehungsweise vier Räume vom Dunklen ins Helle bei Aran, vom Hellen ins Dunkle bei Madison.
Die Initiation des Betrachters erfolgte bei Madison im hohen Foyer der Säle im dritten Obergeschoss, wo nichts weiter als eiligst hergestellte DiA-4-Zettel an der Wand im Wechsel Veranstaltungen im Rahmen der Ausstellung ankündigten. So war man mal – Kunsthalle extended – zum „House of Mixed Emotions“ im Kreis-5-Szenetreff Longstreet Bar geladen, oder einige Wochen später zu Filmvorführungen im Projektraum AP News um die Ecke aber auch zum „Dim-Sum-Mix“-Essen in der Kunsthalle selbst.
Neben dieser situationistischen Erweiterung des musealen Raums bemühte sich Madison natürlich auch in Situ dem Zeitgeist mit den allfälligen Schlagworten wie Kollaboration, Partizipation, Rekonfiguration, Work in Progress, „think global, act local“ gerecht zu werden. Sein Blackbox-Setting erfuhr dann auch zur Halbzeit Veränderungen durch Ergänzungen und neuen Arrangements: So waren die transparenten Gemüsekisten aus Fernost im ersten Raum, die Arbeiten „NO“, 2012/13, die im Wesentlichen in der Beteiligung von Emanuel Rossetti entstanden und ansprechend mit Glühbirnen ausgestattet waren, durch eine Mehr-Kanal-Videoinstallation ergänzt, die einen muntern Workshop des Künstlers mit Kindern in einem U.S.-amerikanischen Museum zeigte.
Der dritte Raum bekam drei tief hängende Leuchtkörper geschenkt, die an japanische Papierkugelleuchten erinnerten, und auf einmal das plastische Moment der 5-Kanal-Videoinstallation „MELT white / copper“, 2013, betonten: Hier sah sich der Betrachter durch seinen Schatten auf die fünf großflächigen Projektionen einer immersiven Situation ausgesetzt.
Der Pressemitteilung konnte man entnehmen, dass hier Aufnahmen von Drohnen, Flugapparaten mit Kamera, durch die leere Kunsthalle gezeigt werden. Man mag das gerne als hippe Anspielung mit politisch-sozialem Mehrwert nehmen, doch ästhetisch-intellektuell bleibt das, wie die Versandkisten im Nebenraum als Verweis auf globale Warenströme, hinter den Erwartungen, Ansprüchen und künstlerischen Möglichkeiten zurück.
Ein Geschoß tiefer war es darum nicht besser gestellt. Kann man Madison noch eine gewisse Distanz zur eigenen Sache, Humor und eine Lust zur Vermittlung nachsagen, vermisste man diese Tugenden bei der hermetischen Präsentation Uri Arans vollständig.
Drei Säle, drei Settings: Von einem großformatigen 24-Minuten Videoloop im Eingangsbereich, ging es im Halbdunkel des ersten Saals an sieben Tischen vorbei, die wie kleine Bühnenbilder diverse Objekte und Bildchen in Karton-Boxen zeigten, in den dritten, wo eine Unzahl Papierarbeiten, Drucke, Collagen, mit kleinformatigen Objekten aus diversen Materialien auf den an den Wänden umlaufenden Podesten ausgebreitet wurden.
Setzkasten-Ästhetik: in den 1970- und 1980er-Jahren war dieser Holzkasten eines aussterbenden Handwerks fester Bestandteil der Innenausstattung, gefüllt mit kleinteiligen Objekten, zu denen ihr Besitzer irgendeine Geschichte zu erzählen hatte. Diesem Format entsprachen nun die Arbeiten Arans. Nur, dass sie dem Betrachter entweder alles – „Every day we geathered in the livingroom for dinner“, beginnt eine junge Frau hinter ihrem Mikrofon die Narration der knapp 24-minütigen Videoarbeit „Chimpanzee“ zum Auftakt Arans Ausstellung – oder nichts zu erzählen hatten. Zwar fährt die Sprecherin fort, „this was a special night“. Doch nichts in ihrer Erzählung geschieht, außer, dass Dad eine Pizza bestellt und der kleine Timmy den Saftbecher verschüttet. Ihre Alltagsgeschichte widerholt sich in Arans Video wieder und wieder, ebenso wie der Latinojunge auf seinem Stuhl, der uns Anweisungen zum Springen gibt, oder das studentische Pärchen in Strickpullovern. Ein Höhepunkt des Videos stellt dabei der Moment dar, in dem er ihr erklärt, wie man Pizzaschachteln faltet.
Dass dieses Szenario obendrein mit barocker Affektmusik, Schuberts „Serenade“ und einer Bachpartita unterlegt wird, darf als kulturelles Crossover gelten, der in Anbetracht der Youtube-Verfügbarkeiten von Hochkultur als Appell an die Egalität des kreativen Diskurs gelesen werden darf. Dieser findet erst in einem gemeinschaftlichen Hier und Jetzt Substanz und Erfüllung . Die Zürcher Kunsthalle hat diesen Anspruch mit Aran und Morison nur in Teilen hergestellt.