Man schimpft über Sebastian Baumgartens Don Giovanni an der Zürcher Oper – Zu Recht? Eine Nachbemerkung
Musikalisch gelungen, inszenatorisch jedoch gründlich daneben. So lautete das nahezu einhellige Kritikerurteil über Sebastian Baumgartens Don Giovanni an der Zürcher Oper. Geht das? Wie kann eine Inszenierung für missraten erachtet werden, wo eingestandenermaßen Gesang und Orchester auf hohem Niveau unterwegs waren? Wohl lässt sich in der Oper, anders als im Schauspiel, das Gehörte vom Gesehenen, die Form vom Inhalt trennen: Da steht einer an der Rampe , so die einhellige Meinung, und singt vor sich hin, ungeachtet dessen, was um ihn herum so abläuft. Mit schöner Regelmäßigkeit fühlen sich dann jene auf den Plan gerufen, die meinen, Orchester und Sänger samt dem Komponisten vor den Zumutungen der Inszenierung in Schutz nehmen müssen: Mosern mit Mozart gegen die Regiewillkür.
Zwar dürfte es ich langsam herumgesprochen haben, dass die Oper im Wesentlichen Musiktheater und keine konzertante Veranstaltung ist. Doch offensichtlich neigt man dazu, die Leistung oder Nichtleistung der Regie allein darin zu bemessen, was sie an Bildern zur Musik liefert und übersieht, was sie mit den Darstellern gearbeitet hat.
Darin hat Baumgarten beachtliches geleistet: Nur mit kleinen Abstrichen zeigt sich nach der Premiere ein Solistenensemble auf hohem Niveau, ein Peter Mattei in der Titelpartie, der es bei aller Bravour nicht nur in seiner grandiosen Champagnerarie, nicht nötig hatte sich von seinen Kollegen abzusetzen. Das gilt auch für seine Mitstreiter Pavol Breslik als Don Ottavio, Julia Kleiter als Donna Elvira, Ruben Drole in der Rolle des Leporello und Anna Goryachova und Erik Anstine als Zerlina und Masetto. Einzig die Donna Anna der Marina Rebeka agierte und tönte stimmlich zu sehr an den anderen vorbei. Doch sonst spielte man zusammen, achtete jeder auf den anderen, hörte zu, nahm den Ton auf brachte so die Aufführung zu höchster Meisterschaft.
Dazu kam das glänzende Orchester unter der Leitung von Fabio Luisi, der seine Musiker in der Originalbesetzung an historischen Instrumenten dirigierte. Ist man das in Zürich bereits zu sehr gewohnt, dass man das nicht mehr erwähnt? In München, Hamburg, London oder Mailand undenkbar, erreicht man in Zürich durch lange Tradition und den vergleichsweise kleinen Theatersaal die gesamte Dynamik und Fülle der mozartschen Musik.
Hatte man da auf der Bühne vielleicht mehr Zeitkolorit samt Mozart-Atmo erwartet? Freilich, das lieferten weder die Totsündenvideos von Chris Kondek, noch die Sakralraum-Bühne von Barbara Ehnes, die im Verein mit Tabea Brauns Kostümen die Handlung in eine Amish-Gemeinde versetzen wollten. Baumgartens Kalkül bestand darin, Don Giovannis Libertinage durch die Konfrontation mit religiösem Fundamentalismus eine größere Reibungsfläche abzugewinnen. Das mochte einleuchten, sowohl ästhetisch, wie für die Motivation der Akteure. Doch es war sicherlich ein Fehler dies auf einer viel zu kleinen Bühne in dieser Ideen- und Bilderfülle zu präsentieren. Damit war er sicherlich auf hohem Niveau gescheitert. So blieb er seinem Publikum vor allem die Antwort schuldig, was einem der mozartsche Frauenfresser heute eigentlich zu sagen habe. Ein Kreativer unter konformistischen Existenzen? Der eigensinnige Widerpart in restriktiven Zeiten? Vielleicht. Doch diese schöne Botschaft blieb wie bei Baumgarten oft im Zuvielgewollten stecken. Dennoch oder gerade darum war es ein bemerkenswerter Abend, der bei allen Abstrichen überaus sehens- und hörenswert bleibt.