Von Zwergen und Hüten

Die Ausstellung von Kaspar Müller in der Kunsthalle Bern „I Shrunk the Kids“ erzählt von großen und kleinen Leuten, von Nöten und Hüten. Eine nähere Betrachtung.

Als Reaktion eines Besuchers auf die Arbeiten Kaspar Müllers im Eingangssaal der Berner Kunsthalle ist ein breites Spektrum vorstellbar. Das kann, je nach Befindlichkeit und Hintergrund, von heller Begeisterung bis zur Verärgerung reichen: Was haben hier in aller Welt, die Figurinen eines Julian Opie zu suchen? Das Publikum war draußen vor der Tür von einem Plakat empfangen worden, auf dem ihm die Fotografie eines sorgenvoll gebeugten Engels Schutz und Trost versprach, und die zugleich an jenes Heer von sentimentalen Himmelsboten erinnerte, das als populärkulturelles Gut Wohnstuben und Friedhöfe bevölkert. Dass hier nicht, wie der Betrachter zunächst denken könnte, eine Grabskulptur des 19. Jahrhunderts abgelichtet ist, sondern eine jener Performances, die in Fußgängerzonen als living sculptures dargeboten, für einen Großteil der Bevölkerung als Gipfel zeitgenössischen Kunstschaffens gelten, kann als erste Finte des jungen, 1983 in Schaffhausen geborenen Künstlers stehen. Die zweite also, die hemmungslose Appropriation der opieschen Strichfiguren-Pin-Ups wie „Woman taking off man’s shirt in two stages 1“ (2003), das er als „After Julian Opie“ zwar nicht in Vinyl und mit orangem Hintergrund, sondern als Siebdruck in Rot, aber im annähernd gleichen Format und gleicher Aufdringlichkeit präsentiert. Vier weitere Siebdrucke „After Julian Opie“ vervollständigen die Eingangshallenparade bis ins Treppenhaus, wo eine Kniende auf weißem Hintergrund sich anschickt, das Treppengeländer herunterzurutschen. Ist ihre prekäre Plazierung als Kritik an der sexualisierten Ikonik zu deuten? Oder die winzigen Glasbrillanten, die beim näheren Besehen auf der Leinwand kleben, als Hinweis auf die Fetischisierung von Frauenkörper, Bild und Kunst?

Eine Antwort darauf wird es mit Kaspar Müller nicht geben. Ebenso wenig man eine eindeutige Antwort darauf erwarten kann, warum die unbekümmerte Affirmation, der erborgte Paukenschlag das Entree gestaltet: Husarenstück, Schildbürgerstreich, Konzeptualismus im Geist einer Elaine Sturtevant, all das schwingt dabei mit, allerdings um den Preis, dass die Latte für das Folgende hoch gelegt wird.

Müllers Copy-Paste-Strategie findet sich bereits im Ausstellungstitel „I Shrunk the Kids“. Und er gibt ein Programm vor. Er zitiert den Walt-Disney-Blockbuster „Honey, I Shrunk the Kids“ von 1989, von dem man vermuten kann, dass er einer der ersten Kinoerlebnisse des Künstlers gewesen ist und heute ganz oben in dessen camp-Liste steht. Er erzählt von den Abenteuern vierer Nachbarskinder, die sich durch die Maschine eines genialen Erfinders geschrumpft als Winzlinge an Monsterameisen vorbei durch den Vorgarten kämpfen – Allmachtphantasien paaren sich hier eng mit Angst vor Selbstverlust, eine Paarung, die sich leicht auf die Arbeit eines Künstlers übertragen lässt. Warum soll man nicht wie Opie die Puppen tanzen lassen? Warum soll man nicht mit Opie das Publikum an der Nase herumführen dürfen? Und ist es nicht Aufgabe und Prinzip der Kunst, das Kleine für das Große zu halten, oder, um es im Kuratorendeutsch zu sagen, „Wahrnehmungsgewohnheiten aufzubrechen“? Genau dies führt er dann auch gleich links vom Vestibül mit zwei Arbeiten „Ohne Titel“ (2013) aus: An den Stirnseiten des Raums sind im regelmäßigen Raster jeweils in DinA4 und DinA5 6 x 6 Laserdrucke sauber an die Wand gekleistert: Schnappschüsse des Künstlers von jungen Menschen. Auch hier bleibt wieder alles offen: In wie weit darf man Müllers Dekor konzeptuell oder gar kritisch als Einblick in die Facebook-Kultur lesen? Ähnlich interpretationsoffen oder auch haltungslos beliebig zeigt sich die Installation der beiden Oberlichtsäle rechts des Vestibüls: Nervöse Bleistiftzeichnungen auf DinA3 zeigen trommelnde Zwerge und antike Ringerfiguren, als hätte sie eine Kinderhand oder Paul McCarthy zu Papier gebracht. Den Eindruck eines aufgeräumten Kinderzimmers verstärken zwei Objekte: Ein barocker Holzschrank in der einen Ecke und diagonal gegenüber, als wären sie gerade daraus entfleucht und hier erstarrt, eine Schar kleiner Pappmaschee-Kopffüßler in der anderen. Ihr narrativer Konzeptualismus wiederholt sich im Hauptsaal, wo fünf Gegenstände – ein Verkehrskegel, eine Gasflasche, frisch lackierte Metallfässer und ein Hydrant mit Kinderklamotten lustig kombiniert, der Hydrant trägt zum Beispiel einen orientalischen Schleier, – ihre Geschichten erzählen wollen. Bei allem Humor entgeht der Künstler auch bei dieser stummen Versammlung nur mit Mühe jener Geschwätzigkeit, die er in seinem Video „Forever alone and around the world“ (2013) zum künstlerischen Prinzip erklärt und einem sprechenden Stoffzylinderhut in den Mund legt. Dieser darf sich vor dem Hintergrund sonniger Urlaubsbilder schwebend in einem 20-Minuten-Videoloop Gedanken zur eigenen Existenz und Kunst machen. Seine dürftige Quintessenz: „I can be whatever you want me to be.“ Wenn man dies Statement auch für das Facit der Berner Ausstellung nimmt, hätte man bei aller Chuzpe und humorigem Spiel ihres Autors mehr Haltung erwartet.

„Kaspar Müller – I Shrunk the Kids“, Kunsthalle Bern, 19.10. – 1.12.2013. Text zuerst erschienen in Kunstforum International Bd.224, 2013.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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