Diskurstheater im Trockendock

Der Bühnenbildner Bert Neumann wuchtet zur Uraufführung von René Polleschs „Herein! Herein! Ich atme euch ein!“  ein veritables Schiff in den Schiffbau des Zürcher Schauspielhauses – die Bedingungen des Theaters werden damit neu verhandelt.

Es bedarf oft nur geringfügiger Eingriffe und das Erhabene kippt ins Lächerliche: Ein paar Figuren versuchen sich in einer monströsen Stadtlandschaft zurechtzufinden – so in René Polleschs „Fahrende Frauen“ im Pfauen des Zürcher Schauspielhaus (2011). Ein paar Figuren verhandeln vor einem sehr echt wirkenden Holzpanzer Krieg und Frieden – so in René Polleschs „Der General“ an der Berliner Volksbühne (2013).

Am vergangenen Samstag hatte nun René Polleschs neustes anderthalbstunden Stück „Herein! Herein! Ich atme euch ein!“ im Schiffbau des Züricher Schauspielhaus seine Uraufführung. Und das Erhabene dräunte erneut (Bühne: Bert Neumann). Diesmal, dem Spielort geschuldet, als gewaltiger hölzerner Schiffsrumpf, an dem vorbei sich das Publikum zu Beginn die Plätze suchen musste, und der oft gefährlich nah über dessen Köpfe gehieft, zur Spielstätte der munteren Polleschtruppe werden sollte. Ja, allein sein Schweben hin und her über den nassen Bühnenboden hätte diesen Abend zu einem Ausnahmeabend werden lassen. Wäre da nicht diese muntere Polleschtruppe gewesen (vier Darsteller: Inga Busch, Jirka Zett, Marie Rosa Tietjen und Nils Kahnwald, unterstützt von einem 22-köpfigen Männerchor in bunten Space-Ranger-Trikots), die das Erhabene in Polleschmanier gründlich konterkarierte. Oder haben sie es erst ermöglicht und hervorgebracht?

Am Theater René Polleschs scheiden sich die Geister. Was den einen auf der Höhe der Zeit und dieser oft um Längen voraus, erscheint den Anderen das immer Gleiche im neuen Gewand – es werden keine Geschichten erzählt, die ergreifen, keine Menschen gezeigt, die rühren. An diesen Fronten hat der Abend im Schiffbau mit Schiff, Diskurstheater im Trockendock, sicherlich wenig geändert. Wenn gleich zu Beginn Inga Busch in Abendrobe unter dem Heck von einem Taxifahrer erzählt, der sich dauernd verfährt und dies damit entschuldigt, dass er auch nur ein „Mensch“ sei, entspinnt sich ein gehetztes Pingpong an der Rampe über behauptete Existenzen, Verdrängtes, Beziehungen, den Film und Adolf Hitler. Die erste Dialogsequenz unter den vier Darstellern wird mit dem meuternden Einzug des Männerchors und der Anweisung, der freilich keiner nachkommt, abgeschlossen: „Alles war zu groß. Lege dich auf die Couch!“ Den einen zum Brüllen komisch, denn es entblättert gesellschaftliche Diskurse zur Kenntlichkeit, nehmen es die anderen für Wortgeklapper. Der Schauspieler Jirka Zett macht ihnen zur Hälfte des Abends ironisch ein Angebot, wenn er sich „an die Zuschauer in den unteren Reihen“, wendet, „die bislang zu kurz gekommen sind und nichts von den schönen Sachen zu sehen bekommen, die gleich oben auf dem Deck stattfinden.“ Er würde für sie jetzt die Schiffschraube anstellen und sie könnten sich dabei die Erzählung von Henry James „The Turn of the Screw“ vorstellen und „dass es sich jetzt um eine Neuinterpretation des Klassikers oder wenigstens ein Vorspiel handelt.“ Hier appelliert jemand an den aktiven Zuschauer. Einen, der sich aus den angebotenen Versatzstücken aus High and Low, Camp und Pop, „Pirates oft the Caribbean“ und „Fitzcarraldo“ einen eigenen Reim zu machen versteht.

Der genau einstudierte Chor (Leitung: Christine Gross) führt nach seinem Parodos die synchronen Kampfbewegungen aus Einar Schleefs „Sportstück“ vor, um die damit angesetzte Fallhöhe gleich wieder zu brechen und zu dementieren: „Mount Everest, bedrohlich unnahbar, furchterregend,“ tönt es aus den Männerkehlen. René Pollesch ist in Zürich wieder ein atemberaubender, präziser und gewitzter Abend gelungen.

Zuerst in leicht veränderter Fassung erschienen in Der Freitag 3/14 vom 17.01.2014

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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