„Winter Line” – der Ausstellungstitel der Schotten Ross Birrell und David Harding erinnert an die italienische Frontline des II. Weltkriegs 1944.
Wer kennt den syrischen Braunbären Wojtek? Hierzulande wohl kaum jemand. Die Suche bei Wikipedia und Youtube könnte Auskunft geben. Man würde dadurch überrascht, dass der Bär bis heute sowohl in Polen, als auch in Schottland, Bekanntheit, ja Popularität genießt und stieße auf eine Geschichte, die vor dem brutalen Hintergrund des zweiten Weltkriegs an Rührung und Mitgefühl nichts zu wünschen übrig lässt, zumal die Herkunft des Bären an aktuelle Krisen- und Kriegsgebiete denken lässt: Das im Irak stationierte 2. polnische Armeekorps adoptierte 1942 einen jungen, von der Mutter verlassenen Braunbären. Zutraulich und anschmiegsam, wurde er zu ihrem Maskottchen. Im Frühjahr 1944 bekam das Tier mit Genehmigung des britischen Oberkommandos kurzerhand einen militärischer Rang zugeteilt und dergestalt humanisiert, Papiere ausgestellt, nachdem die Hafenbehörde von Alexandria seine Einschiffung nach Neapel verweigert hatte. Bei der verheerenden Schlacht um Monte Casino erwarb Wojtek dann auch soldatische Meriten, indem er schwere Mörsergranaten durch Feindesland bugsierte. Nach Kriegsende folgte Wojtek 3.000 polnischen Soldaten in das Armeelager Winfield Camp im schottischen Hutton und erfreute nach der Demobilisierung bis zu seinem Tod 1963 die Besucher des Zoos von Edinburgh.
Wann der kleine, 1937 ebenda geborene Künstler und Lehrer David Harding, er gründete 1985 das legendäre Department of Environmental Art an der Glasgow School of Art, dem drolligen Meister Petz zum ersten Mal begegnete, ist nicht überliefert. Doch die Begegnung muss ihn derart beeindruckt haben, dass er 1973 seine erste Skulptur nach ihm fertigte, die später als Schenkung an das von polnischen Emigranten gegründete Sikorsky Museum in London ging.
Diese mäandernden Erzählstränge finden nun mit der Ausstellung von Ross Birrell und David Harding in der Basler Kunsthalle „Winter Line“ – ein Titel, der an den Frontverlauf in Italien 1944 und somit an den Einsatzort Wojteks ebenso erinnert, wie an eine der vierten Jahreszeit gewidmete Gedichtzeile oder Musikphrase – einen vorläufigen End-, und freilich auch Ausgangspunkt. Wojtek wird dem Besucher in den Arbeiten „Ursus Arctos Syriacus 1 und 2“ (2014) gleich zwei Mal begegnen. In den hinteren Oberlichtsälen sitzt er in Lebensgröße, mittels 3D-scanner aus zwei historischen Fotografien in weißes Polyersterharz gegossen auf dem Parkettboden. Da reckt er einmal das Köpfchen schnappend nach oben, das andere Mal legt er brav bittend die Pfötchen übereinander. Drollig, denkt man. Doch was hat der Bär hier zumal in zweifacher Ausführung zu suchen? Erst in der Ausstellungsbroschüre erfährt der Besucher, dass es sich bei den Polyestertier um das Kriegsmaskottchen handelt und googlet sich zu Hause vielleicht den Rest der Geschichte zusammen. Aber welche Geschichte wird bei Harding und Birrell in der Ausstellung erzählt? – Sind die Bären ihre apotropäischen Stellvertreter? Das demütige und nach Leckerbissen heischende Tier, Spiegelbilder des Betrachters? Sie stünden damit für die Kollaboration der Künstler ebenso wie für die Kommunion der Rezipienten – eine flüchtige Gemeinschaft in der Kunst.
Die vollständige Rezension erscheint am 23.02. in Kunstforum International, Band 225