Gerhard Richter »Bilder / Serien«. Oder vom Prius der Figuration

Die ältere Dame im Saal 7 der Ausstellung „Gerhard Richter. Bilder / Serien“ in der Basler Fontation Beyeler beugt sich zu „Betty“, 1988, Öl auf Leinwand, 102 x 72 cm groß, jener betörenden Rückenansicht im Besitz des U.S.-amerikanischen Saint Louis Art Museum, auf der, unzählige Male reproduziert, das duftend blonde Haar der ersten Tochter Gerhard Richters mit dem rot-weißen Blümchenmuster ihrer Kapuzenjacke um sie Wette eifern. Für die Dame zumindest so lange, bis ihr der Satz entfährt: „Der kann doch malen!“ Dass sie die Aussage nicht konstativ, sondern, mit der Betonung auf „doch“, konzessiv verstanden wissen wollte, ist an der Geste ihrer Begleiterin deutlich abzulesen. Die beiden Damen schlagen zwei Kreuze über die vier großformatigen quadratischen Farbfeld-Arbeiten „Bach (1 – 4)“ (1992) im selben Raum, um sich in die Abgründe subtiler Helldunkelmalerei bei der „Lesenden“ (1994) aus dem San Francisco Museum of Modern Art gegenüber zu vertiefen.

betty-gerhard-richterDie Anekdote wäre nun nicht weiter erwähnenswert, würde sie nur die nach wie vor weit verbreitete Annahme illustrieren, die besagt, Kunst sei, wo ich etwas wiedererkennen kann. Doch sie verweist auch auf eine nicht zu übersehende Dichotomie in Richters Werk, der, zwischen figurativer Feinmalerei, die ihre intimen Sujets überhöhend wiederzugeben sucht, und den konkreten, nichtfigurativen, „abstrakten“ Farbfeldmalereien.

Es gibt in Richters Werk Arbeiten, die Übergänge markieren, wie den auch in Basel zu sehenden Zyklus „17. Oktober 1977“ (1988), doch in der Werkentwicklung keine Perioden, wo er eine, der anderen Ausdrucksform vorzöge. Das Figurative steht, als ob er sich seiner Welt und der Kunstgeschichte immer wieder versichern müsste, neben der Abstraktion, die er als sein malerisches Kerngeschäft betreibt. In Richters Worten: „Wenn die `Abstrakten Bilder` meine Realität zeigen, dann zeigen die Landschaften und Stilleben meine Sehnsucht.“ Doch neben der Sehnsucht des Malers nach dem einfachen Gegenstand, der in der Erscheinung des Bildes sich in seiner Wahrheit zeigt, bricht sich bei Richter auch der Ehrgeiz Bahn, es den großen der Zunft gleich zu tun, Tizian, Vermeer, Caspar David Friedrich. So geht es in seinem vierteiligen Zyklus „Verkündigung nach Tizian“ (1973) im Saal 6, der alle vier Bilder aus schweizerischen Privatsammlungen und den USA zusammenführt, auch vor allem darum, in den expressiven Abstraktionen das eine zu verkünden: Seht her! Ich bin auch ein großer Maler, der sich hinter den Meistern der Vergangenheit nicht zu verstecken braucht.

20081110_richter_waldOb sich dem so verhält? Ein Zweifel bleibt allein schon durch die historische Differenz. Richter gibt den Zweifel, den eigenen Qualitätsmaßstäben gerecht zu werden, gern als Triebfeder seines Schaffens an. Die andere Triebfeder, die man ihm jedoch auch unterstellen muss, ist, für das, was er tut, und sei es die noch so ungeheuerliche Eskapade, geliebt zu werden. Als Versicherung dessen dient das figurative Bild. Ein Schalk, wer glaubt, Richter wollte es den beiden Besucherinnen seiner Basler Ausstellung mit „Betty“ und der „Lesenden“ recht machen. Doch Richter will wenigstens für sie gemocht werden, auch wenn sein abstraktes Werk unverstanden bleibt oder abschätzig beurteilt wird. Man kann es auch so formulieren: Die Figurativen Bilder erfüllen die Funktion von Pop-ups auf einer Website, die den ermüdeten Nutzer auf immer neue Angebote aufmerksam machen wollen.

Die Fondation Beyeler folgt dieser Logik schon im Titel ihres Blockbusters. Bei „Gerhard Richter. Bilder / Serien“ sind mit den „Bildern“ die figurativen, mit „Serien“ die seriellen und abstrakten Arbeiten Richters gemeint. Oder in den Worten ihres Kurators: „Zwischen die seriellen Bilder [sind] kontrapunktisch immer wieder singuläre Einzelwerke des Künstlers gesetzt. (…) Sie brechen die Abfolge der Räume auf und laden dazu ein, selbst wieder über das Verhältnis von Einzelbild und Werkgruppe in Richters Oevre nachzudenken.“ Im Kataloginterview erfährt man von Richter, dass bereits 1984 in der von Kaspar König kuratierten Ausstellung „Von hier aus“ zwei Reihen abstrakter Bilder von zwei kleinen Landschaftsbildern unterbrochen wurden: „Das war sehr reizvoll, nicht nur wegen des Kontrasts, sondern weil beide Seiten dadurch anders gesehen wurden. Eine Verbindung wurde da erzeugt, die für beide bereichernd war.“ Man mag dem Meister nicht widersprechen. Doch im Fall seiner Basler Kampagne schon.

Bereits im Foyer empfängt den Besucher das strenge, monumentale Querformat „1024 Farben“ (1973) aus der Schweizer Daros Collection, an den Seitenwänden flankiert von zwei Kleinformaten, ein „Abstraktes Bild“ (1999), in dem man eine Landschaft entdecken mag, und verwischte „Rosen“ (1995). Das macht Sinn, wird durch dieses Triptychon avant la lettre die Bandbreite Richters Schaffen diskret auf den Punkt gebracht. Doch es geht stur weiter: Bis auf die Ausstellungsräume 10 und 11, die dem Zyklus „18. Oktober 1977“ (1988) gewidmet sind, muss in jedem der folgenden 12 Säle mindestens ein figuratives Bild der seriellen Abstraktion anbei gestellt werden. Das erscheint im ersten Saal in der Gegenüberstellung der gewaltigen, gleichsam kalten Rakelbilder „Januar“, „November“, „Dezember“ (1989) und realistisch intimen Mutter-Kind-Szenen wie „S. mit Kind“ (1995) noch amüsant und anregend.

2220128aDoch spätestens im Kabinett mit „4900 Farben“, wirken ein neuerliches Blumenstillleben und die Arbeit „Grau (Borke)“ (1973), die aus dem Saal mit dem Zyklus „Wald“ (2005) nebenan herübergewandert zu sein scheint, um die Totalität der ausgebreiteten Farbenwucht zu inkorperieren, nur mehr albern. Nachgerade ärgerlich war da schon, dass man in dem Raum, der die acht Bildtafeln der Serie „Grau“ (1975) aus dem Museum Abteiberg Mönchengladbach zeigte, das ohne Not dazu gehängte Portrait von „Ella“ (2007) nicht mehr aus dem Kopf bekam.

Aber man hatte sich schon vorher mit solcherlei Pop-ups abgefunden. Das populäre Primat des Figurativen avanciert zum Fait accompli künstlerischer Leistung.

Zuerst erschienen in Kunstforum International Bd. 229. http://www.kunstform.de

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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