Saubannerzug – Paralipomenon XVII

In der Nacht des vergangenen Freitags zog eine per Netz und SMS zusammen-getrommelte Rotte aus linksautonomen Aktivisten unter der Parole „Reclaim the Streets“ durch Zürichs Langstrassenquartier . Man marodierte, als die Polizei aufgezogen war, auf die übliche Weise, dergestalt, dass einige Scheiben zu Bruch und Mulden und Luxuskarossen in Flammen aufgingen. Einer Polizistin, die sich in Sicherheit bringen wollte, soll eine Brandfackel in den Einsatzwagen hinterhergeworfen worden sein. Die vorläufige Bilanz: Sachschäden in Millionenhöhe und sieben verletzte Polizisten.

Man mag sich darüber wundern, dass sich solche Vorkommnisse in der saturierten Stadt Zürich zutragen. Dabei wird gern vergessen, dass Zürich mit den Opernhauskrawallen bereits in den frühen 1980er-Jahren unter dem Motto «Freier Blick aufs Mittelmeer – Sprengt die Alpen» berlin-kreuzberger Verhältnisse kannte. Die Stadt trug immer wieder stellvertretend für die Schweiz  offen und auch gewaltsam Konflikte aus, die sich unter der Decke der bräsig-konformistischen Konkordanzgesellschaft angestaut hatten. Es sei daran erinnert, dass sich das Wort „Putsch“, dialektal für „Stoss“, „Zusammenprall“ mit dem sogenannten Züriputsch 1839, in dem  reaktionäre Kräfte an die Macht kamen, durch eine beachtliche mediale Resonanz sowohl ins Deutsche, wie Französische und Englische Aufnahme fand.

Dem Helvetismus „Saubannerzug“, wenn auch aus einem ähnlichen Kontext stammend, wurde keine vergleichbare Karriere zuteil. Phonetisch weniger charmant, verbindet sich mit dem Ausdruck ein sehr schweizerischer Modus mit Vorgängen der oben erwähnten Art umzugehen: Während die Boulevardpresse und auch die Neue Zürcher Zeitung bezüglich der Ereignisse des vergangenen Freitags von „Krawallmachern“, „Marodeuren“ und „Chaoten“ sprach, nahm der Zürcher Tagesanzeiger den Begriff aus dem Polizeibericht auf, der die marodierende Schaar mit „Saubannerzug“ titulierte. Während dem „Krawallmacher“, „Marodeur“ und „Chaot“ jede Legitimität seines Tuns abgesprochen wird, unterstellt der Begriff „Saubannerzug“ seinen Akteuren ein durchaus berechtigtes Anliegen. 1477 zog ein um seinen Sold geprellter Trupp Reisläufer, sprich Landsknechte, marodierend durch die Eidgenossenschaft, bis sie durch die Stadt Genf ausgezahlt wurden. Ihre Fahne zeigte einen wilden Eber und einen Streitkolben. Ihr „Saubanner“ fand damit Eingang in den Schweizer Sprachschatz und die Logik, dem Anderen Recht einzuräumen, bevor vorschnell ein Urteil gefällt wird.

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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