Die von Okwui Enwezor kuratierte Hauptausstellung der 56. Venedig Biennale überfordert notgedrungen. Dennoch zeigt sie sich entspannt, klug orchestriert, sinnlich und politisch. Ebenso ausgewogen ist die Präsentation aller Medien und Gattungen. Eines ist damit sicher: Performative Formate haben ihren festen Platz in der zeitgenössischen Kunst.
Die Serie ist bemerkenswert: 2011 ging der Goldene Löwe als bester Beitrag der Länderpavillons überraschender Weise an den Deutschen. Man ehrte die immersive Installation des kurz zuvor verstorbenen Christoph Schlingensief, den zu diesem Zeitpunkt viele noch als einen Autorenfilmer und Theatermann wahrgenommen hatten. Man sah auf dieser Biennale ohnehin eine Vielzahl performativer Formate. Um nur zwei zu nennen, die skandinavischen Länder engagierten Schauspieler, die als Makler durch den Pavillon führten, der britische Pavillon wurde zu einem verlassenen arabischen Haus umgebaut, in dem sich die Besucher auf Spurensuche begeben durften. Mit der Preisverleihung an Schlingensief war nun auch eine Konsekration des einstigen Schmuddelkindes Performance durch den Kunstbetrieb verbunden.
Wer glaubte, das sei eine vorübergehende Erscheinung, wurde zwei Jahre später eines Besseren belehrt. Während zum Beispiel im ausgeräumten Rumänischen Pavillon täglich die größten Kunstwerke der klassischen Moderne körperlich nachgestellt wurden, ging ein Goldener Löwe wieder an eine performative Position: Der deutsch-iraner Tino Sehgal bekam ihn für eine Arbeit, die ohne jedes „Werk“ auskommt und in der Etablierung theatraler Situationen besteht. Aufseher beginnen unvermittelt zu singen, der Besucher wird von einem Performer angesprochen, um über Bankwirtschaft zu sprechen, oder er tanzt in einem völlig abgedunkelten Raum mit einer unbekannten Zahl von Tänzern und anderen Besuchern.
Die Auszeichnung für die hervorragendste künstlerische Arbeit in 2015 konnte nun keinen mehr verwundern. Mit der U.S.-Amerikanerin Adrian Piper wurde eine wichtige Konzept- und Performancekünstlerin der zweiten Generation geehrt – in den 1960er- und 1970er-Jahren, als zeitgebundene und körperbezogene Kunstformen Live, in Installationen und Videoarbeiten etabliert wurden, undenkbar.
Sowohl bei in den Länderpavillons wie in der von Okwui Enwezos Hauptausstellung „All the World`s Futures“ waren performative Positionen so präsent, dass sie schon nicht mehr auffielen: Während Enwezor eine Bühne zum Zentrum seines Parcours macht, Karl Marx lesen lässt, Lecture Performances oder neue Musik zu Gehör bringt, kann der Besucher im Belgischen Pavillon Mark Twain lauschen oder bei Tanja Bruguerra einen Dark Space betreten, der durch Fidel-Castro-Propaganda-Filme erhellt, nackte Männer bei merkwürdigen Ritualen sichtbar werden lässt.
Performances aller Orten. Doch das Theater hat die bildende Kunst nicht übernommen, wie der Kunstkritiker Michael Fried 1967 drohend an die Wand malte. Die Zeichen deuten vielmehr auf ein Phänomen, das, wie man von post-digitaler Kultur oder von Post-Internet spricht, mit dem Begriff Post-Performance angemessen umschrieben ist: Theatrale, zeitgebundene Ausdrucksformen sind selbstverständlicher Teil des Kunstfeldes geworden.
Aktionen oder theatrale Situationen sorgen heute kaum mehr für Aufmerksamkeit, weil sie als Aktion oder Situation zu erkennen sind. In dem Masse wie sie sich ins Konzert, der mit ihnen konkurrierenden Darstellungsmodi und Medien einordnen, müssen auch sie ihre Inhalte neue Formen finden.
Künstler und Kuratoren sehen die Performance ebenso als eine ernstzunehmende und repräsentative Form, wie sie von einem größeren Publikum als solche angenommen und rezipiert wird. Sie gehört daher inzwischen zum festen Bestandteil von Biennalen zeitgenössischer Kunst, zumal sie sich dadurch noch von kommerziellen Kunstmessen abgrenzen können. Enwezor hat post-performative Tendenzen früh in den Ausstellungsraum gebracht. Kunst, Musik und theatrale Formate erachtet er auch in Venedig für tendenziell gleichrangig. Man darf die teerschwarz getränkten Stoffbahnen des jungen Kolumbianers Oscar Morino in den Interkolumnien der Fassade des Hauptpavillon auch als einen Theatervorhang deuten, der durch seinen morbiden Kontrast zum Weiß der faschistischen Front des Ausstellungsbaus in die Gegensätze dahinter einstimmen soll.
To be continued