Sametimes I`m. Carlos Bunga im Haus Konstruktiv Zürich

P1260477Ob er sich durch den großen William Kentridge eingeschüchtert fühlte? „No, we are both nomades,“ entgegnet der 1976 in Porto geborene Künstler Carlos Bunga lachend. Bis September diesen Jahres läuft seine erste Einzelausstellung in der Schweiz „I am a Nomad“ parallel zu Kentridges „The Nose“ im Zürcher Haus Konstruktiv; beide Ausstellungen sind stimmig inszeniert und ohne Gefälligkeit schön. Mit seiner selbstbewusst frechen Replik trifft der junge Portugiese mit Wohnsitz in Barcelona den Kern ihrer künstlerischen Arbeit; weder Kentridge noch er legen sich auf ein Medium fest, beiden geht es mehr um die künstlerische Haltung, den Prozess, als um ein kanonisch abgeschlossenes Werk.

Bungas nomadische Künstlerexistenz vergewissert sich in einer der gut drei Duzend ausgestellten Zeichnungen und Kollagen mit der Tuschzeichnung „Same Times“ (39 x 31cm, 2006). Auf horizontalen Linien, die sich nach unten zu Schraffuren verdichten, repetiert er bis zur Hälfte des Blattes als eine Abwandlung der Phrase „sometimes I am (gelegentlich bin ich)“ die im Englischen ungebräuchliche Wendung „same times I`m“. Die serielle Stupidität der selbstgewählten Strafarbeit wird durch die Neuprägung des Terms durchbrochen. Er setzt, schreibt, zeichnet, streicht durch. Das Neben- und Nacheinander der künstlerischen Tätigkeiten verdichtet sich so zu einem synchronen Schöpfungsakt. Ausgebildet ist der Künstler als Maler und das Malerische hält sich in seiner plastisch-architektonischen Arbeit bis heute durch. Dabei bedient er sich gekonnt und mit Leichtigkeit der Patterns der klassischen Moderne. So finden sich unter dem im 3. Stock ausgestellten Schwarm von Kleinplastiken aus bemaltem Verpackungsmaterial zum Beispiel solche, die an Louis Kahns kubische Architektur erinnern („Fragmento #30“, 2015), oder gleich Mondrian plus Malewitsch heraufbeschwören, indem der Künstler das schwarze Quadrat eines Beistelltischchens mit einem weiß-rot-bemaltem Papprahmen versieht („Untitled Model“ #34, 2008). In dem unspektakulären Video „Behind“ aus dem Jahr 2000 spielt er auf die ein halbes Jahrhundert vorher entstandenen „zips “ an, jene vertikalen Streifen, die die Farbfeldmalerei Barnett Newmans strukturieren. In dadaistische Manier nimmt Bunga Newmans „zip“ wörtlich, indem er Leinwand über ein schrankförmiges Holzgestell spannt und in der Mitte mit einem Reißverschluss versieht. Das kurze Video „Behind“ (2000) zeigt den Künstler, wie er vor das Objekt tritt, öffnet, hineinsteigt, darin verschwindet und von innen verschließt. Zur gleichen Zeit Performer, agiert er auch als Maler, streicht sich im Verschwinden durch und wird Teil seiner Skulptur, als hätte es der Betrachter mit Jean Cocteaus Orphée beim Eintritt in die Unterwelt oder mit einem Werksatz von Franz Erhard Walther zu tun.

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Sein Meisterstück liefert der junge Portugiese jedoch im 4. Obergeschoss des Haus Konstruktiv. Carlos Bunga war 2004 mit einer monumentalen Installation aus bemaltem Pappkarton, die er gleich zu Beginn wieder einriss, auf der Manifesta 5 in San Sebastian aufgefallen. Schon damals durchkreuzten sich konstruktive Geste und destruktive Performance, die von den Kartonwänden ein wild gestaltetes Trümmerfeld zurückließ. Ungleich zurückhaltender gibt sich der Künstler in Zürich. Die Zerstörung wird hier gleich zu Beginn an ein Video delegiert, das auf einem Monitor am Eingang zu seiner Installation gezeigt wird. Die Hand des Künstlers wiederholt in „More Space for Other Construcions“ (2007-2008) Robert Rauschenbergs „Erased de Kooning Drawing“ aus dem Jahr 1953 durch das Ausradieren einer eigenen Architekturzeichnung. Der Besucher kann diese Einstimmung zum Panier und zur Aufgabe des Künstlers erklären, der den bekannten White Cube durchstreicht und neu definiert. Für die Folge von vier Räumen baute der Künstler die Serie von zehn gleichgestalteten, bis unter die Oberlicht-Decken gezogenen Raumteilern aus Karton. Pro Raum stehen sich zwei exakt gegenüber. Die Konstruktionen stabilisierte er durch Paketband und Leim und bemalte sie von hinten mit weißer Dispersionsfarbe. Dazu platzierte er in jedem Raum eines von fünf monochromen Malereien aus der Serie „Painted Construct“ (2015), die durch ihren Kartonrahmen, an Donald Judds „specific objects“ erinnern. Bei seiner „Constructive Construcion“ (2015) ging der Künstler drei Wochen vor der Eröffnung ohne jeden ausgearbeiteten Entwurf vor Ort ans Werk.Das Ergebnis fasziniert. Denn Bungas Intervention dekonstruiert den vorhandenen Raum, indem er seine Eigenarten aufnimmt und betont und gleichzeitig aber negiert und ins Leere laufen lässt.

Zunächst fällt dem Besucher die Dialogizität der ephemeren Kartonkonstruktion mit der Stahlträgerarchitektur kaum auf und überträgt sich in ein stimmiges Gefühl von Proportion im Nacheinander der Raumfolge. Doch bei näherem Besehen wird deutlich, dass die Pappe nicht nur das Profil der Stahlstützen und Deckenträger wiederholt, sondern jede Wand in Form und Maß auf die vorhandene Situation reagiert. Ihre Breite entspricht genau den Oberlichtfenstern, die auch die Abstände der Wände im Raum zueinander definieren. Vertikale Pappkonstruktionen unter der Decke und über den Durchgängen, führen scheinbar von einem in den anderen Raum, und vermitteln den Eindruck, dass der massive White Cube nur durch die verbindende Statik des Einbaus gehalten wird.

P1260535Will der Besucher diese Setzung allegorisch lesen, so könnte er die Kartonwände auch als Giganten deuten, die den gezeigten Bildern und ihren Betrachtern Raum geben. Konsequenter Weise beseitigte Bunga kurz vor Eröffnung die letzten vier Pappwände und ließ nur ihre Sockel als akkurat geschnittene Reminiszenz auf dem Boden zurück. Es liegt nun am Betrachter, ob er die Wände vor dem geistigen Auge wieder aufrichten, oder den freigegebenen Raum zwischen „Painted Construct #18“ und „Painted Construct #19“, nun mehr Bild als Objekt, selbst definieren will. Der Besucher nimmt auch die Herausforderung Bungas gerne an. Soviel Witz und gute Form war im Haus Konstruktiv selten zu sehen.

Anlässlich der Ausstellung erscheint das Künstlerbuch, Carlos Bunga, DNA, Artphilein Editions, Lugano 2015, mit Texten und Zeichnungen des Künstlers 126 Seiten, 30,00 CHF

Der Text erscheint im Juli 2015 in Kunstforum International Bd. 235

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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