„SPLASH“ – Christian Marclay mit „Action“ in der Kunsthalle Aargau

Das Basler Kunstmuseum, die Zürcher Kunsthalle, das Kunstmuseum Bern – die großen Museumseinrichtungen der Deutschschweiz dümpeln durch Erweiterungspläne und ein einfallsloses Management eher glücklos vor sich hin. Erfreuliches lässt sich diesem Umstand insofern abgewinnen, als dadurch kleinere Häuser häufiger in den Blick geraten, die als Bühnen zeitgenössischer Kunst in letzter Zeit Profil gewinnen konnten. Dazu gehört das Aargauer Kunsthaus in Aarau. Kaum eine halbe Stunde Zugfahrt von Zürich entfernt, pflegt man hier ein Programm, das parallel zu wechselnden, thematisch fokussierten Sammlungspräsentationen, monografische Ausstellungen international renommierter schweizerischer Künstlerinnen und Künstler wie Mai-Thu Perret, Dieter Roth, oder nun aktuell Christian Marclay zeigt.

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Der mittlerweile 60-Jährige wuchs, in Kalifornien geboren, als Sohn eines Schweizers und einer U.S.-Amerikanischen Mutter in Genf auf, wo er zwei Jahre an der Ecole Supérieure d’Art Visuel Kunst studierte, bevor er 1977 bis 1980 an das Massachusetts College of Art in Boston und die Cooper Union in New York wechselte. Bereits zum Ende seines Studiums setzte Marclay in einem Gitarrenduo Schallplatten, die er durch scratching manipulierte, als Rhythmusinstrument ein. Sein Credo, „I`ve always been interested in how sound visualy acts,“ wird von ihm in der Arbeit „Five Cubes“ (1989) wörtlich umgesetzt, indem er Vinyl-Schallplatten in fünf Klötze umschmilzt, oder er setzt den Betrachter des Videos „Guitar Drag“ (2000) den jaulenden Geräuschen eine E-Gitarre aus, die ein Truck hinter sich herzieht.

Marclay hat die Latenzzeit der 1980er-, 1990er-Jahre wie kaum ein anderer gespiegelt und mitgeprägt. Seine Arbeiten markieren nicht nur die Übergänge vom Punk zur Club-Kultur, von der Musikszene in die bildende Kunst. Sie revitalisieren performative und kollaborative Strategien der 1960er- und 1970er-Jahre ebenso, wie seine Appropriationen und das Sampling eine Vorahnung des heraufziehenden digitalen Zeitalters erlauben. Seine Film-Collage „Telephones“ (1995) lässt sich auch als Menetekel auf den Smartphone-Terror heutiger Tage lesen. Bereits 1995 bespielt er mit „Amplification“ als einen offiziellen Beitrag der Schweiz die Chiesa San Staë auf der 46. Venedig Biennale. Sechzehn Jahre später schließt die monumental präsentierte, an ausgewählten Tagen in Gänze zugängliche 24-Stunden-Videoarbeit „The Clock“ (2010) Bice Curigers Arsenale-Rundgang mit einem Paukenschlag ab. Der Künstler erhält dafür den Goldenen Löwen.

In Aarau hat man auf die Präsentation der ikonischen Videoarbeiten Marclays gänzlich verzichtet. Lediglich die stumme Videoarbeit „Fast Music“ (1980) erinnert an die musikalisch bewegten Anfänge und geräuschvollen Auftritte des Künstlers im Lauf seiner Karriere. Der Besucher sieht den jungen Mann, wie er durch Stop-Motion-Technik unterstützt in sekundenschnelle eine Schallplatte in sich hineinstopft. Ein überholter Musikträger wird als Fast-Food verspeist. Die Arbeit steht programmatisch für die Ausstellung „Action“, die ausschließlich Marclays Versuche eines Rücktransports des Auditiven über das Visuelle präsentieren möchte. Die Ausstellung zeigt daher nicht nur keine bekannten Videoarbeiten, sondern verzichtet konsequent auf jeden Sound. Den muss sich der Betrachter synästhetisch über das Auge selbst ins Ohr legen.

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Munch, Kandinski, Mondrian – die Latte liegt freilich hoch, wenn man in der Moderne nach Vorbildern dieses Konzeptes sucht. Marclay bleibt dahinter zurück. Das Großteil der gezeigten Arbeiten, zwei Black-Box-Projektionen sowie die vier Werkblöcke, „Comic Book Pages“, 1989, „Onomatopoeia“, 2006, „Hanging Scrolls“, 2011 und „Actions“, 2013/14 übersetzen lautmalerische Zeichen aus der Comic-Welt, wie „zack“, „krach“, „bum“, „splash“, in Übermalungen, Drucke, Gemälde und projizierte Digitalisate. Dieses Verfahren kann sich in der „Manga Scoll“ (2010) auf zwanzig Meter bedruckter Papierrolle graphisch-aktionsgeladen zu einer rasenden Partitur entwickeln. Die immersive 4-Kanal-Projektion „Surround Sounds“, auch sie will in einem 13-Minuten-Loop das Akustische nur über das Auge produzieren, spielt ansprechend und gekonnt mit dem ornamentalen Reiz der knallbunt stummen Comic-Sprache von Lauten, Tönen und Geräuschen. Was dazwischen noch kommt, wird der Besucher als sauber gemachte Sache zur Kenntnis nehmen. Berühren wird es ihn nicht. Zu kalkuliert, zu fleißig dekliniert Marclay sein Programm durch die Medien, bemüht sich in „Motion Splat“ und „Red Plop“ (2014) in Action-Painting-Attitüden, deren Geräusche anschließend lautmalerisch-graphisch auf die Leinwand gedruckt werden. Sigmar Polke hat es vorgemacht und hinter den Pigmentdrucken „Aaaaahhh“ und „Blam“ (2006) winken die Plakatabrisse Mimmo Rotellas.

Bleiben ein Malus und ein Bonus, das Zentrum und der Rahmen des Aarauer Ausstellungsparcours. Der Malus, im dritten Saal erwartet den Besucher eine pavillonartige Bühne und Hocker zu diversen ausstellungsbegleitenden Aufführungen. Sie bleiben aber während des laufenden Betriebs unbespielt. Unproportioniert beherbergt der Holzeinbau stattdessen zwei zu betretende Kabinen, in denen Marclays knallbunte Mangavariationen als „Hanging Scrolls“ (2011) präsentiert werden. Würden diese Rollen schon die Nischen eines traditionellen japanischen Teehauses sprengen, wie der Katalog vermerkt, bringen sie nun diese Kästen viszeral-akustisch zum platzen.

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Der Bonus, der erste und letzte Raum der Ausstellung. Sie bieten auch Serien und Appropriationen, jedoch Lösungsansätze zur Evokation akustischer Reize im Visuellen jenseits der Comic-Sprache an; so der erste „Abstract Music“ aus den Jahren 1989 bis 1990, abstrakt übermalte Plattencover einerseits, und die Serie „The Electric Chair“ (2006) andererseits zum Schluss, in der variantenreich zwischen Luc Tuymans und Peter Doig gemalt das „Silence“-Schildchen als Ausschnitt Andy Warhols bekannter Siebdruck-Serie aus dem Jahr 1963 vorgeführt werden. Nachdem Marclay in „The Clock“ eine unerbittlich verrinnende Zeit inszenierte, ist sie hier – allerdings auch künstlerisch, weil in der Appropriation nur epigonal – endgültig zum Stillstand gekommen.

Katalog: Christian Marclay, Action, Ausstellung Aargauer Kunsthaus, Aarau, 30.08. – 15.11.2015, Hrsg. Madelaine Schuppli, Ostfildern 2015; 174 Seiten

Zuerst erschienen in Kunstforum international Band 236, Oktober-November 2015

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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