The Hobbyist – Eine Ausstellung im Schweizer Fotomuseum Winterthur geht dem Phänomen ritualisierter Freizeitaktivitäten und seiner professionellen wie nicht-professionellen Spiegelung in der Fotografie nach
Wow, denkt man. Warum ist da keiner früher draufgekommen? Grund für solchen Enthusiasmus liefert der Kunstbetrieb heute selten. Überraschungen, zwingende Ideen und überzeugend umgesetzte Konzepte sucht man trotz Museums-Konkurrenz und Biennalen-Flut meist vergebens. Der interessierte Zeitgenosse kann nun in der Provinz fündig werden, im schweizerischen Städtchen Winterthur zwischen Schaffhausen und Zürich. Dort zeigt das weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannte Fotomuseum eine museale Bestandsaufnahme, die längst überfällig schien und, wie zu vermuten, das zu einem Zeitpunkt, an dem das thematisierte Phänomen am Verschwinden ist, der Freizeitler, der Hobbyist.
Vielen dürfte noch der elterliche Hobbykeller in Erinnerung sein. Doch die damit verbundenen Aktivitäten waren weit entfernt von Spitzwegs Kaktuszüchtern, diffus zwischen Party, Tischtennis und Carrera-Bahn definiert, so dass jenseits von Super8-Gefilme und dem Sammeln von Briefmarken schon Ende der 1970er-Jahre kaum mehr von „Hobbys“ die Rede sein konnte.
War man damit bereits auf dem Weg zur klassenlosen Gesellschaft wie sie Karl Marx und Friedrich Engels vorschwebte? Der Kommunismus würde es jedem ermöglichen, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ (Die deutsche Ideologie, 1846) Freiheit statt Freizeit lautete die lebst noch von Theodor W. Adorno vertretene Parole.
Ganz so einfach sehen es die Macher der Winterthurer Ausstellung freilich nicht. Nicht nur, dass sie mit dem fotografischen Blick auf Freizeitaktivitäten stille aber auch sichtbar-laute Residuen des Hobbyismus ausmachen, vom Taubenzüchter („Paloma al Aire“ (2011) von Ricardo Cases), über Pilzsammler (hier ist der Minimalist John Cage in einer Fotografie von William Gedney 1967 bezeugt), bis hin zum Selbstdarsteller Alexander Ramnev, der sich in seinen Selfies ohne Sicherung auf den Spitzen von Super-Hochhäusern ablichtet. In Winterthur kommt er mit einer Fototapete („Need Adrenaline!“, 2014) gleich im ersten von fünf Ausstellungssälen mit der Rubrik „Ich und die Welt“ zu Ehren. Die weiteren benennt man „Von Freizeit und Lifestyle“, Raum 2, „Werkzeuge für die Zukunft“, Raum 3, „Un/Späktakuläre Orte“ und „Rituelle Leidenschaft“, Räume 4 und 5, in denen man zwar kaum große und schon gar nicht schöne Bilder zu sehen bekommt, wohl aber originelle und aufschlussreiche.
Auch wenn dabei so bekannte Künstler wie Diane Arbus, mit Bildern ihrer Landsleute, Gordon Matta-Clark, mit einem Restaurant, Chris Burden, mit einem Raketenauto oder Kenneth Anger mit einem Auto-Fetisch-Videoclip, als professionelle Dokumentaristen oder in der Rolle dilettierender Freizeitler auftauchen, kann der Besucher weder phänomenal-künstlerisch Vollständigkeit erwarten, – wo beleibt der Schach spielende Duchamp, der Hobby-Pyromane Roman Siegner oder der Sammlerkünstler Hans-Peter Feldmann? – noch soziokulturell. Wo bleiben die Heerscharen von Hobbyfotografen, die ab 1880 mit immer günstigeren Fotoutensilien ausgestattet unterwegs waren und den Profis den Rang streitig machten? Das Potential hiervon lässt sich mit Jeremy Deller und Alan Kane „Folk Archive“ (1999-2005) erahnen, das mit knapp dreißig Drucken aus der Fotosammlung mit teils skurrilen Maskeraden und Aufzügen der britischen Mittelklasse präsent ist.
Die Kuratoren setzten jedoch die epochale Zäsur und den Anfang ihres historischen Bogens nicht ohne Grund in die 1970er-Jahre und statten ihre Ausstellung mit einem prallen Begleitprogramm aus. Eine Holztribüne samt Podium unterstreicht den performativen Charakter, ohne den auch diese Unternehmung nicht auskommen will. Auch wenn die Dixi-Land-Schrumpel-Jazz-Szene dieser Jahre ebenso ausgeblendet beleibt wie die „Trimm-Dich-Fit“-Welle. Erkennen die Ausstellungsmacher in der digitalen Maker-Szene der US-Westüste jener Jahre die letzte nachhaltige Hobbyisten-Bewegung, die vom Nerd zum Hacker mit dem Ruf nach Do-it-Yourself und Selbstermächtigung gegen die Macht der Konzerne bis in unsere Tage zum eigenen Totengräber heranwuchs. In einem „Open letter to Hobbyists“ im Februar 1976 beklagt sich der Micro-Soft Gründer Bill Gates über den miserablen Stand der Software für private User und gelobt die Szenewünsche mit der Aufstockung seiner Mitarbeiterschaft um zehn Programmierer zu erfüllen. Das Schreiben erschien im Tüftlermagazin Homebrew Computer Club Newsletter freilich noch gedruckt und liegt als Give-Away unter dem mittlerweile ikonischen, groß auf die Wand gezogenen Schwarz-Weiss-Foto von Steve Jobs und Steve Wozniak mit nachlässig gescheiteltem Zottelhaar und ungepflegten Bärten aus den 1970er-Jahren. Kleinen Fluchten – große Freiheit? Scheinbar. In der digitalen Welt fallen die Grenzen zwischen Consumer und Producer, Arbeit und Freizeit mit jedem Selfie-Tweet, Klick and Like, Selbstermächtigung oder Zwang? „Ich bin kein Sneaker Addict, jetzt reicht es mal,“ verkündet ein Commuity-Mitglied zum Thema Turnschuhe in der Netz-Dokumentation „The Molem Collective“ (2013) von Hana Miletić. Von den Abgründen der Selbstdarstellung der Netz-Game-Szene geben Eva & Franco Mattes mit ihrer Arbeit „My Generation“ (2010) ein beredtes Zeugnis.
Doch lassen sich durchaus Residuen kreativer Freizeitkultur ausmachen, auch wenn sich der Betrachter der zum Abschuss der Ausstellung präsentierten Aktivitäten ein Lächeln schwer verkneifen kann, die in Vitrinen ausgebreiteten Fotoalben „Bodybuilder“ (1986-1995) des Hamburger Museumdirektors Eckehard Schaar etwa, oder Alec Soths Sammlung von „Ping-Pong“ Spielern (2013). Die Palme aber gebührt dem US-Amerikaischen Künstler Mike Mendel, der die Baseball-Sammelkarten seiner Jugend in den 1970ern wieder herausholte und ergänzte, nur dass die portraitierten Helden nun aus dem Freundeskreis stammten. Jugendliche Sammelwut, Appropriation und Gegenkultur wurden selten so überzeugend kurzgeschlossen. Allein wegen dieser Entdeckung hätte sich der Weg nach Winterthur gelohnt.
The Hobbyist. Hobbys, Fotografie und Hobby-Fotografie, Fotomuseum Winterthur, bis 28.01.2018. Text redaktionell bearbeitet zuerst erschienen in Der Freitag, November 2017