Paragone am Rheinknie

Nahezu zeitgleich zeigen die Ausnahmekünstler Georg Baselitz und Bruce Nauman in Basler Privatmuseen die Summa ihrer Künstlerleben – das verspricht eine merkwürdige Begegnung.

 

 

 

 

 

Die Geschichte lässt sich kurz so erzählen: Zwei Buben aus der Provinz, der deutschen hier, der US-amerikanischen dort, beschließen große Künstler zu werden. Durch Talent und Glück werden sie das auch. Der deutsche, Georg Baselitz, 1938 geboren, als Maler. Der Amerikaner, Bruce Nauman, 1941 geboren, als Konzept-, Performance-, Video und Installationskünstler. Von 1968 bis 1980 findet keine Documenta ohne sie statt. Das hat damit zu tun, dass ihre Arbeiten Pole besetzen, ohne die der modernistische Kunstbetrieb nicht läuft: Traditionalismus/Modernismus, figurativ/abstrakt, politisch/formalistisch, all das ist bei ihnen idealtypisch aufgehoben. So kommen sie bei aller Gegensätzlichkeit immer wieder zusammen.

Die letzte Begegnung der beiden wurde 2015 inszeniert. Da hatte sie der Kurator der Venedig-Biennale Okwui Enwezor in Szene gesetzt. Während Baselitz auf halber Strecke des Arsenale-Parcours in einem eigens eingerichteten kapellenartigen Oktogon kopfüber gehängte Selbstporträts platzieren durfte, war das Entree der Ausstellung als eine beängstigende Blackbox gestaltet, ein Initiationsraum, in dem aggressive aus Macheten gestaltete Gestecke im Holzboden von Adel Abdessemed durch Bruce Naumans zuckende Leuchtschriften gespenstisch erhellt wurden.

Endet die Geschichte der beiden nun am Basler Rheinknie? Dort soll im Frühjahr für ein paar Wochen – mehr zufällig als beabsichtigt –  einen letzten, dafür aber umso lauteren Showdown mit zwei umfangreichen Retrospektiven geben. Die Ausstellung zu Baselitz ist in der Fondation Beyeler bereits eröffnet. Im Schaulager der Emmanuel Hoffmann-Stiftung folgt im März die zu Nauman. Kunsthistorisch gesehen ist sie sicher das spannendere Kaliber.

Der junge Bruce Nauman war sicherlich nicht der einzige Student der Malerei, der sich Anfang der 1960er-Jahre gegen den akademischen Betrieb stemmte. Doch bei Nauman geriet die Rebellion zur Geste, die den Kunstbetrieb revolutionieren sollte. Im Atelier, so die schöne Einsicht Naumans, müsse alles, was er tue und lasse, Kunst sein. Damit war ein Zeichen gesetzt, dass der Wert von Kunst nicht mehr allein im fertigen Produkt zu suchen ist, sondern vielmehr im Tun, in der Arbeit des Künstlers, im Prozess. Ab 1967 – da war er bereits bei dem Großgaleristen Leo Castelli unter Vertrag – dokumentierte er einfache Bewegungsabläufe wie Gehen, eine Geige-Streichen, An-der-Wand-Lehnen auf Schwarz-Weiß-16mm-Ton-Film und schleuste so ephemere Akte als „Werk“ in den Verwertungskreislauf der Kunst ein. In Bouncing Balls (1969) manipuliert er seinen Hodensack im Close-up und Slow Motion.

Mit der Darstellung primärer Geschlechtsmerkmale machte auch Baselitz Skandal. Zwei Jahre hing das Ölbild Die große Nacht im Eimer (1962-63) wegen Unsittlichkeit in der Asservatenkammer der Westberliner Staatsanwaltschaft. Nun hängt es prominent als Leihgabe in der Fondation Beyeler, ein Männchen mit langem Gemächt, das heute auch etwas an Putin erinnert. So wirken viele der baselitzschen Großformate in Basel merkwürdig aktuell und stark, sein Oberon 1964 ebenso wie die seit 1969 kopfüber gemalten Figurenbildnisse wie Adieu 1982. Was manch einer als Gag abtuen will, zeigt sich im Vergleich mit den Kollegen Gerhard Richter, Markus Lüperz,  Anselm Kiefer als Bildfindung mit Bestand.

Doch sein Gepolter übertönt, dass sein Künstlerbild überholt erscheint, auch wenn es vom Markt gerne propagiert wird. Daher finden sich bei Nauman die leiseren Töne, auch wenn wie er es sagt „ein Kunstwerk wie der Schlag eines Baseballschlägers ins Genick“ wirken sollte. Auch er wusste neben Skandalösem Beständiges zu platzieren. So geriet der 16mm-Film „Bouncing Two Balls between the Floor and Ceiling with Changing Rhythms“ (1967-68) zur gültigen Künstlermetapher, in der Nauman wieder und wieder mit voller Kraft versucht, zwei Bälle über den Boden an die Atelierdecke zu knallen.

Das Video, das sicherlich auch im Schaulager zu sehen sein wird, liest sich auf die Verhältnisse heute emblematisch: Zwei private Häuser an der Peripherie müssen ihre Bälle mit aller Vehemenz in der Luft halten, wo öffentliche Häuser im Zentrum ihrem Auftrag nicht mehr in vollem Umfang nachkommen können. Der Showdown am Rheinknie ist daher symptomatisch. Einerseits markiert es mit den Retrospektiven zum Lebensende zweier wichtigen Exponenten des Modernismus das endgültige Ende avantgardistischer Künstlermodelle, andererseits melden sich privates Mäzenatentum und Geschäftssinn, die gegen die Zeichen der Zeit das überholte Künstlerbild wiederum zu bewahren, wenn nicht zu retten suchen. Die althergebrachte Ordnung mitsamt ihrer sensiblen Machtgefüge kommt damit gründlich durcheinander: Hätte man Baselitz großformatigen Bilder vor 20 Jahren selbstverständlich im Kunstmuseum Basel gesehen, zeigt man dort nur das grafische Werk, während man die Ölmalerei in der Fondation und anschließend im Washingtoner Hirshhorn-Museum präsentiert. Ebenso das Schaulager, das mit einem Sockel wichtiger Arbeiten Naumans ausgestattet ist, das nun aber als Financier der ersten Retrospektive nach 20 Jahren den zeitlichen Vortritt vor der Partnerinstitution MoMA in New York reklamieren kann.„The true artist helps the world revealing mystic truths,“ heißt es in einer Neon-Licht-Spirale von Nauman ironisch. Unter Basler Verhältnissen wird es ihnen sicher nicht leichter gemacht.

Redaktionell überarbeitet zuerst erschienen unter dem Titel „Basel Balla Balla“ in Der Freitag am 15.02.2018

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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