Ein Mal die eigene Welt gestemmt. Charles Atlas im Migros Museum Zürich

 

Seit den Split-Screen-Wänden aus den 1970er-Jahren hält sich das Vorurteil hartnäckig, Videokunst müsse vor allem schnell, bunt und laut sein. Die erste umfangreichere schweizerische Präsentation des New Yorker Videokünstlers Charles Atlas will dies auf den ersten Blick bestätigen: Vier Monitore projizieren zu einem wummernden Sound gleich in der Videoinstallation „Glazier“ (2014) glatte Bilder vom Großstadtleben, industriellen Fertigungsprozessen und süßlicher Natur.

Bildgewaltig und bunt geht es auch in der Videoarbeit “2003“ (2003/ 2018) gleich nebenan weiter. Sah sich der Betrachter in „Glazier“ mit moderner Vereinzelung und Anonymität konfrontiert, wird hier das Gegenteil behauptet. Der Künstler lässt die Hundertschaften seiner queren Community freundlich und ausgelassen über die Projektoren flimmern – der Sound wird über zwei Stelen mit Monitoren durch Kopfhörer zugänglich. Auch die Videoarbeiten „Institute for Turbulance Reseach“ und „Platos Alley“ (beide 2008) gönnen mit ihren immersiven Überwältigungsstrategien dem Besucher keine Atempause.

Erst mit „The Years“ (2018) wird es etwas ruhiger. Atlas erreichte in den 1970er-Jahren durch Tanz-Filme und Videos mit Merce Cunningham erste Bekanntheit. 1987 wurde seine Fiction-Docu „Hail the New Puritan“ (1986) über die Londoner GLBT-Szene auf der documenta 8 in Kassel gezeigt. Auf vier Screens werden nun Ausschnitte aus diesen und weitern Arbeiten des Künstlers präsentiert, darunter Kollaborationen mit Marina Abramovic und Yvonne Rainer. Doch auch hier rauscht das Material, denn Atlas inszeniert sich auf den Stelen für die Ewigkeit. Dazu erscheinen hinter den Videostelen auf einer Leinwand sieben „Zeugen“. Wollten sie den Künstler à la Bill Viola in die Unsterblichkeit geleiten? Das suggeriert ein zum Abschluss des Bühnensets auf die Wand projizierter Sternenhimmel. Das ist dann doch arg dick aufgetragen.

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Lifting the world once. Charles Atlas at the Migros Museum Zurich

Since the split-screen walls from the 1970s, there has been a persistent prejudice that video art must above all be fast, colourful and loud. The first comprehensive Swiss presentation by New York video artist Charles Atlas aims to confirm this at first glance: Four monitors project smooth images of city life, industrial production processes and sweet nature to a booming sound in the video installation „Glazier“ (2014).

The video work „2003“ (2003/ 2018) continues right next door, too. While the viewer was confronted with modern isolation and anonymity in „Glazier“, the opposite is claimed here. The artist lets the hundreds of his cross community flicker friendly and exuberantly over the projectors – the sound is accessible through headphones via two stelae with monitors. The video works „Institute for Turbulance Reseach“ and „Platos Alley“ (both 2008), with their immersive overwhelming strategies, do not give the visitor any breathing space.

Only with „The Years“ (2018) things will calm down a bit. Atlas first became known in the 1970s through dance films and videos with Merce Cunningham. In 1987 his fiction docu „Hail the New Puritan“ (1986) about the London GLBT scene was shown at documenta 8 in Kassel. Four screens now present excerpts from these and other works by the artist, including collaborations with Marina Abramovic and Yvonne Rainer. But here, too, the material rushes, because Atlas stages itself on the stele for eternity. Seven „witnesses“ appear behind the video steles on a screen. Did they want to lead the artist à la Bill Viola into immortality? This is suggested by a starry sky projected onto the wall at the end of the stage set. That’s a big one, isn’t it?

Writen for Artforum March 2018

Charles Atlas, Scary, Scary, Community Fun, Death, Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich, 17.02.–13.05. 2018

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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