Mit der Johannesburger Kuratorin Gabi Ngcobo positioniert die 10. Berlin Biennale Künstlerinnern der Afrikanischen Diaspora in die erste Liga des Kunstbetriebs. Sie liegt damit im Trend: Das Kunstmuseum Basel und die Großmesse Art Basel rücken zur gleichen Zeit bereits etablierte schwarze Künstlerinnen und Künstler wie Theaster Gates, Sam Gilliam, Ibrahim Mahama oder Rashid Johnson in den Vordergrund.
Berlin, Rosa-Luxemburg-Platz. Zwischen Volksbühne und Karl-Liebknecht-Haus duckt sich ein Pavillon. Mit zwei durch ein Gesims verbundene Pylonen formuliert der Bau die Eingangssituation zu einem kleinen Park. Pultdach, bis auf die Rückseite verglast, spricht er vom Anspruch der jungen DDR in der Moderne angekommen zu sein. Versorgte er die Ost-Deutsche Hauptstadt mit Blumen, Getränken, Zeitungen oder Theaterkarten? Eines ist sicher, die schlichte Zweckarchitektur ist mit den klassizistischen Kandelabern vor der Volksbühne mittlerweile das einzige authentische Relikt am Platz, das von der sozialistischen Republik erzählt.
Nun dient er als einer der vier Austragungsorte der 10. Berlin Biennale. Und es ist unwahrscheinlich, dass einer der Kunstnomaden, die nun am ersten Samstagvormittag nach der Eröffnung der Biennale hier auf Einlass warten, sich solche Fragen stellen. Bereits die 9. Berlin Biennale hatte sich vom Lokalen gründlich verabschiedet.
Nun wird der Pavillon auch nicht von heimischen Aktivisten belegt, sondern durch die Schwestern Lydela und Michel Nonó, Jahrgang 1979 und 1982, mit dem Künstlernamen Las Nietas de Nonó, die Enkelinnen Nonós, aus dem Inselstaat Puerto Rico. Das ist die Insel über die im September letzten Jahres der Tropensturm Maria hinwegwehte. Wir erinnern uns: das Sonderterritorium der USA, die vielen Tote, die zerstörte Infrastruktur, die skurrilen Auftritte von Donald Trump, die fehlenden Hilfeleistungen, bis heute.
Die Schwestern betreiben in einem Arbeiterviertel der Hauptstadt San Juan, dem Barrio San Antón in Carolina, seit einigen Jahren ein Kunst- und Begegnungszentrum. Das Haus ihres Großvaters Nonó. Ihr „Patio Taller“ ist mittlerweile als Nachbarschafts- und Szenetreff, Party- und Galerieraum, weit über den Inselstaat hinaus bekannt. Irgendwie also passt der Pavillon neben der Volksbühne zu ihrer Installation, vielleicht darum, weil seine DDR-Atmosphäre als angemessener exotischer Rahmen für eine ebenso exotische Veranstaltung empfunden wird, die nichts von den aktuellen Verwerfungen durch Karibik-Sturm, Behördenwillkür und Klassenunterschiede erzählt.
Karibisches Theater der Grausamkeit
Die Installation „Ilustraciones de la Mecánica (Illustrationen des Mechanischen)“, 2016-18 bietet vielmehr die Bühne für eine –pantomimisch-allegorische Performance, die Gewalt und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung, insbesondere der schwarzen Frauen Puerto Ricos zur Darstellung bringt.
Für ihre Performance schotten sie den Glaskasten rundum durch weiße Gardinen von seiner Umgebung ab. Ein weiterer Vorhang ist zu Anfang quer durch den Raum gespannt. Dahinter, ein Labor mit Tischen, Lautsprechern, Phiolen, konservierten Gegenständen, Stockfische, ein großes Hautpräparat, das an Eva Hesse erinnert, hängt in den Raum. Pflanzen stehen in Kübeln, eine Schreibtafel und laufende iPads, haben sie daneben aufgebaut, ein Tumult-Raum anziehend und unheimlich, die Bühne für eine berührende Show.
Die knapp dreißig Besucher drängeln sich vor einem Tisch mit grauer Folie. Die erste Akteurin betritt feierlich den Raum. Michel im gelben T-Shirt und kurzen Hosen wird sich zu Anfang auf den Tisch legen, das Opfer, die schwarze Frau. Ihr geht es an die Plazenta, die als wabbeliges Plastikreplikat auf dem Bauch liegt: Ein gesichtsloses Monster, die Schwester Lydela in OP-Kittel und Strumpfmaske macht sich in weit ausholenden Gesten mit spitzen Instrumenten daran zu schaffen. Das ekelt und rührt. Die Botschaft ist klar: Die dunkelhäutige Frau ist das Opfer dunkler, sprich weißer Machenschaften, der Schwarze, der Verlierer der Gesellschaft, hier durch die Maske mit dem vergrößerten Polizeifotos ihres Cousins symbolisiert, einem stadtbekannten Drogendealer, der gerade wieder im Gefängnis sitzt. Die Form der Aufführung ist ebenso eingängig. Ihre Fixsterne heißen Antonin Artaud, die brasilianischen Performancekünstler Lygia Clark und Hélio Oiticica und freilich Paul McCarthy. Für den Ekel sorgt bei den Nonós geraspeltes Rotkraut. Das funktioniert in San Juan und Berlin. Der Auftritt an der Spree verschafft ihnen dazu internationale Anerkennung. Ein Signal an die heimatliche Community, wie an die heimatlichen Behörden, das sagt, „wir sind wer und nicht nichts“.
Blackness and Conceptual correctness
Sicher darf diese zweite Feedbackschleife für den Auftritt der Nietas de Nonó nicht unterschätzt werden. Auf der anderen Seite ist kaum zu übersehen, dass sie ihr Ticket vom gebeutelten Inselstaat ins Festivaleuropa auch darum erhielten, weil sie ohne weiteres die Mainstream-Parameter für politisch engagierte Kunst-Kunst erfüllen, ohne wirklich anzuecken. Dieser Geist von conceptual correcness – im vorigen Kunstforumband von Wolfgang Ullrich treffend beschrieben – weht nun tüchtig durch Berlin.
Wie schon bei Adam Szymczyks ducumenta 14 steht der wache Beobachter wie der Rezensent vor dem Dilemma, zu bestimmen, woher ein gezeigtes Kunstwerk oder eine Aufführung seinen Wert bezieht. Wenn Szymczyk und im Kielwasser mit ihm Ngcobo behaupten, man müsse zur Dekonstruktion respektive Dekolonisierung des heteronormativen, westlichen Denkens sein bisheriges Wissen über Bord werfen, mit den Kunstwerken das (rancièresche) Un-Learning, das Ver-Lernen lernen, bleiben sie Qualitätskriterien und den Diskurs über Kunst schuldig. Sie öffnen der Verdummung Tür und Tor.
Viel zu schnell wird auf ein anderes, die Blackness, das Politische, das Aktivistische für die gute Sache verwiesen, wenn nach der Qualität einer Geste, eines Kunstwerks, einer Aufführung gefragt wird. Bei dieser Haltung kann es der Kunst auch an den Kragen gehen. Merkwürdig stößt auf, wenn die Biennale-Kuratorin in ihrem Katalogtext gleich als erstes die Entfernung des Cecil Rhodes-Denkmals vor der Cape Town University 2015 akklamiert. Sicher wurde da das Standbild eines Imperialisten erster Güte vom Sockel gehoben. Aber Bilderstürmerei steht einer Kuratorin wenig. Nicht allein, weil sie der Wahrung des Bildes, des Kunstwerks verpflichtet sich zeigen sollte. Schwerer wiegt, dass ihre ikonoklastische Genugtuung den konzeptuellen Ansatz von Kunst überhaupt ignoriert, der besagt, dass Kunst und das Künstlerische jenseits von Abbild-Funktion und Indienstnahme zu suchen ist. Stattdessen wird Idolatrie betrieben. Man bleibt grund-reaktionär, zeigt einiges festival-konformes Mittelmaß, produziert ein paar auffällige One-Liner und weniges, worüber zu sprechen sich lohnt.
Was zum Beispiel soll die friderizianische Sans-Souci-Narration der Künstlerin Firelei Báez „19° 36’ 16.89“ N, 72° 13’ 6.95“ W) / (52.4042° N, 13.0385° E“, 2018? Sicher ist das ruinöse Weinbergschloss am Eingang der Akademie am Hanseaten-Weg ein Eye-Catcher erster Güte. Aber es ist nicht mehr als gefällige Theaterkulisse als Einstieg zu einem eingängigen Erzählmaterial von Heinrich von Kleist bis Henri Christophe, dem schwarzen König von Haiti, der sich ein Sans-Souci auf den Inselurwaldhügel hat bauen lassen?
Sichtbarkeit und deren Entzug, Kooperation mit Behörden, Humor und eine gekonnte Präsentation zeigt hingegen Thierry Oussou mit seiner konzeptuellen, archäologisch anmutenden Multimedia-Installation „Impossible is Nothing“, 2016-18, in der Akademie der Künste um das von ihm inszenierte Verschwinden und Wiederauffinden eines Königthrons aus dem Benin – eines der einsamen Highlights der Berliner Show. Die penibel Strich-an-Strich auf Wand und Boden gesetzten Zeitskalen zu der Arbeit „La Llave/ La Clave“, 2018, von Tony Cruz Pabón gehören zweifellos dazu. Sonst will bis auf eine bemerkenswerte Video-Theater-Arbeit der schwarzen Psychologin und Künstlerin Grada Kilomba, eine Video-Oidipus-Tyrannos-Überschreibung „Illusions Vol. II, Oedipus“, 2018, in den Kunst Werken wenig in Erinnerung bleiben.
Post-Blackness von der Spree an den Rhein
Wenn es ein Anliegen der 10. Berlin Biennale war, Künstlerinnen und Künstler aus Afrika südlich der Sahara zusammen mit der Afrikanischen Diaspora aus südamerikanischen, karibischen und europäischen Ländern auf die internationale Kunst-Bühne zu rufen, wenn es ein Anliegen war für ihre Kunst, ihre Themen, Anliegen, und Politiken zu sensibilisieren, zu interessieren und darüber hinaus Empathie und Solidarität herzustellen, das Projekt der Dekolonialisierung der Diskurse voranzubringen, ist ihr das zweifellos gelungen. Genauer besehen, bleibt diese Berlin Biennale jedoch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Der Beweis dafür lag in der Woche darauf eine Flugstunde entfernt am Rheinknie: Jeder, der im Anschluss an die bb10 die Art Basel und ihre öffentlich geförderten Kollateral-Events besuchte, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kommerzveranstaltung das Post-Blackness-Anliegen unverkrampfter und auf höherem künstlerischen Niveau bewerkstelligen konnte.
Die Steilvorlage dafür lieferte das Basler Kunstmuseum, das für den Chicagoer Künstler, Forscher, Aktivisten und Musiker-Performer Theaster Gates gleich zwei Ausstellungsorte, den Neubau und das Museum für Gegenwartskunst für die beeindruckende Gesamtschau, „Black Madonna“ freiräumte, der Auftakt einer Trilogie, die Gates auch an zwei deutsche Häuser führen wird. Im gleichen Haus dann eine umfangreiche Einzelausstellung „The Music of Color“ des 1933 geborenen Sam Gilliam, die erste institutionelle Einzelausstellung eines Wegbereiters konkreter US-amerikanischer Kunst, der als erster Afroamerikaner 1972 die USA bei einer Venedig Biennale vertrat. Natürlich ist er auch prominent auf der kuratierten Schau der Art Basel, „Unlimited“ vertreten.
Mit der schwarzen Turner-Preisträgerin Lubaina Himid und Grada Kilomba finden sich Positionen der bb10 in den Verkaufskojen. Die klandestine Messe-Losung hieß „black sells“. Der Markt holt nach, was er bisher geflissentlich übersah und holt nun reflexartig schwarze Künstlerinnen und Künstler nach vorn. Beim Global Player Hauser & Wirth baut der Afro-Amerikaner Rashid Johnson, Jahrgang 1977, eine Gartencenterstellage „Antoine`s Organ“, 2016, bis unter die Decke. Großformatige Malerei liefern McArthur Binion aus den USA und Barthélémy Toguo aus Kamerun, Videomaterial aus ihrer black community liefert die junge Martine Syms, Jahrgang 1988. Der Ghanaer Ibrahim Mahama, Jahrgang 1987, verhüllte 2015 den Korridor der Venedig Biennale „All the World Futures“ von Okwui Enwezor ausgedehnt mit gebrauchten Jutesäcken, 2017 zur documenta 14 zwei historische Kassler Zollhäuser. 2018 darf er seine Wand aus Schuhputzkisten unübersehbar an den Eingang der Basler Großschau stellen. Es gibt in Basel keinen prominenteren Ort für ein Kunstwerk. „Non-Orientable Nkansa“, 2017, nutzt aber nicht, wie zunächst zu vermuten, gebrauchtes Material, sondern jede Kiste wurde neu gefertigt und auf alt gestylt. Mahama steht damit im Verwertungskarussell des Kunstbetriebs ganz vorne. Er wird von der Londoner White Cube Gallery vertreten. Post-Blackness, das heißt für ihn zunächst, dass seine ghanaischen Mitarbeiter, einer gab dem Kunstwerk den Namen, keine Schuhe putzen mussten und vernünftige Löhne bekamen. Seine Kistenwand dreht sich um rassistische Hierarchisierung und Ausbeutung. Die Frage, ob der Kunstbetrieb damit das Kritisierte reproduziert, wurde bereits bei Santiago Sierra diskutiert. Es ist im Sinne einer post-kolonialen Kapitalismuskritik, wenn mit Mahama die Diskussion wach bleibt und fortgesetzt wird.