Biedermanns Theater am Zürcher Schauspielhaus

Zürich – Am Schauspielhaus Zürich hatte Max Frischs «Biedermann und die Brandstifter» am Ort der Uraufführung Premiere. Regisseur und Co-Intendant des Hauses Nicolas Stemann zeigte seine letzte Inszenierung. Gab es die erwartete Abrechnung mit der Schweiz, der Stadt, die ihm schon nach fünf Jahren den Laufpass gegeben hatte?

Von Max Glauner

Patrycia Ziólkowska als Gottlieb Biedermann (r.) und Niels Bormann als Dienstmädchen Anna (nicht ganz so r.) FOTO: PHILIP FROWEIN

Kein Zweifel, der Regisseur Nicolas Stemann macht tolles Theater. Er treibt seine Schauspieler:innen über sich hinaus. Da ist immer mehr als Handwerk. Ein Geist, ein Wahnsinn vielleicht, ohne den jede Bühne seelenlos bleibt. Trotzdem stellte sich bei dieser wie bei den meisten Stemanninszenierungen der letzten Jahre das Gefühl ein, da wäre eigentlich noch mehr drin. Woran das liegt? Vermutlich möchte er für das, was er tut, nicht nur anerkannt, sondern geliebt werden. Das ist tragisch, weil er dadurch nicht nur als Regisseur scheitert, sondern auch der Grund gelegt ist für das frühe Scheitern seiner Intendanz des Zürcher Schauspielhauses (zusammen mit Benjamin von Blomberg) nach nur fünf Jahren Amt.

Das war auch bei Stemanns Abschiedsvorstellung im Pfauen, dem Hauptstandort des Zürcher Schauspielhauses, nicht anders. Er tat alles, um als guter Kerl in Erinnerung zu bleiben. Schon die Stückwahl spricht Bände. Max Frischs Biedermann und die Brandstifter wurde just auf dieser Bühne am 29. März 1958 uraufgeführt. Stemann stellte sich in bildungsbürgerliche Traditionslinien wie er es vorher bereits mit Sophokles’ Ödipus und Brechts Galilei getan hatte. Mit diesen Inszenierungen biederte er sich keineswegs an die Abonnentinnen von der Goldküste – jener Seite des Zürichsees, an der das ganz große Geld wohnt – an. Doch nachdem ihm von der konservativen Presse früh das Etikett des Stückzertrümmerers aufgeklebt worden war, signalisierten Aufführungen aus dem klassischen Repertoire: Seht her, das kann ich auch!

Stemann bürstete auch an seinem letzten Premierenabend die Figuren in Besetzung und Kostüm gegen den Strich, blieb dann aber nah an Text und Verlauf des Stücks. Er verteilt alle Protagonisten des „Lehrstücks ohne Lehre“, wie es bei Frisch im Untertitel lautet, auf drei Schauspieler:innen, allen voran energiegeladen, treffend und präzise Patrycia Ziólkowska als Gottlieb Biedermann. Sie bekommt in Niels Bormann als Dienstmädchen Anna und Brandstifter Josef Schmitz einen ebenbürtigen Antagonisten, ebenso wie in dem wandlungsfähigen Kay Kysela, der als Biedermann-Gattin Babette und als Brandstifter Willi Eisenring agiert. 

Patrycia Ziólkowska als Gottlieb Biedermann (r.) und Niels Bormann als Dienstmädchen Anna (nicht ganz so l.) FOTO: PHILIP FROWEIN

Zwar gibt es Streichungen. Frischs Chortexte und einige Nebenfiguren werden auf das Protagonistentrio verteilt. Zwei Feuerwehrmänner tragen als stumme Vorboten der herannahenden Katastrophe Benzinkanister über die Bühne. Das Stück wird auch jenen verständlich, die es nicht als Schullektüre genießen durften.

Stemann erzählt im Einheitsbühnenbild von Katrin Nottrodt, die den Zuschauerraum auf der Bühne mit Tapete und Lüster fortsetzt und um eine Showtreppe und ein zweites Bühnenportal ergänzt. Das behauptet Einheit von Bühne und Publikum, die schon beim Einlass durch die Gegenwart der Darsteller:innen in Foyer und Parkett zelebriert wurde und soll sagen: Wir alle sind irgendwie der Biedermann und seine Brandstifter. Wir erraten eine symbolische Umarmung von Theater und Stadt, die ihr apokalyptisch warnendes Finale in einer immersiven Videoprojektion erfährt. Großartig die musikalisch-akustische Unterstützung durch Thomas Kürstner und Sebastian Vogel in der Loge auf der Treppe. Sie legen einen sensiblen Soundteppich aus, der die Agierenden an der Rampe ununterbrochen trägt und weitertreibt und das Publikum mit ins Boot holt. 

Für gute Unterhaltung ist gesorgt. Und worum geht’s? Die Fabel ist einfach. Ein Ringer taucht bei einem Haarwasserfabrikanten mit bourgeoisem Habitus auf und nistet sich aufdringlich und bedrohlich im Haus ein, um es zum Schluss mit Unterstützung seines Gastgebers anzuzünden. Und mit ihm die ganze Stadt. Zur Uraufführung hatte man das wider Frischs Intention als Warnung vor dem Kommunismus gedeutet. Später als Parabel auf den NS und seine Fortsetzung in den Nachkriegsdemokratien. Und heute?

Stemann erlaubte zwei kleine kabarettistische Einlagen. Sie nahmen die Zürcher Pfahlbürger mit ihren Größenfantasien aufs Korn. Dem fehlte Biss und es setzte auf Konsens mit dem Premierenpublikum. Besser traf eine Nebengeschichte. Sie erzählt von der fehlenden Empathie Gottlieb Biedermanns, seiner Verdrängung des Suizids des entlassenen Angestellten Knechtling. Stemann lässt drei singende Witwen, bei Frisch eine stumme Figur, erinnyengleich durch den Abend schleichen. Das trifft den Kern des Stücks und Stemanns subkutane Botschaft. Frisch gab einmal auf die Frage, wer mit den Brandstiftern gemeint sei, zur Antwort: „Ich meine, die beiden gehören in die Familie der Dämonen. Sie sind geboren aus Gottlieb Biedermann selbst: aus seiner Angst, die sich ergibt aus seiner Unwahrhaftigkeit.“

Wir gehen nicht zu weit, wenn wir Patrycia Ziólkowskas Biedermann zuerst als Geschöpf und Alter Ego ihres Regisseurs lesen. Aber wir können Stemanns Biedermann, ob er will oder nicht, auch als große Allegorie auf seine Zürcher Intendanz lesen. Die Biedermänner, Stemann und Co-Intendant von Blomberg eingerechnet, saßen demnach im Intendantenzimmer. Mangelnde Empathie und Konfliktfähigkeit waren der Konfliktherd für eine von Anfang an überforderte Truppe, die meinte, mit acht Hausregisseuren kooperativ reüssieren zu können. Das Experiment ging daneben. Stemann bringt nun zum Good-bye die Dämonen des gescheiterten Kollektivs auf die Bretter. Das ist gelungen. Frenetischer Applaus nach zwei Stunden beeindruckendem Spiel.

Schlussszene Biedermann, Foto Philip Frowein

Die Rezension erschien in redaktionell überarbeiteter Fassung. in Der Freitag Nr. 13 am 27.03.2024

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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