Klicks, Pics and Likes. Die 57. Venedig Biennale im Zeichen von Web 2.0

Die 57. Biennale Arte eröffnete am vergangenen Samstag in Venedig – gleich zwei Goldene Löwen gingen nach Deutschland, an die Künstlerin Anne Imhof für den besten Pavillon und an den Altmeister der performativen Skulptur Franz Erhard Walter für die beste künstlerische Arbeit in der Hauptausstellung – das dürfte die Kollegen und Marketingstrategen der kommerziellen Side-Events kaum jucken.

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Kunstbiennale Venedig zum 57. Mal. Wir erinnern uns: 2017 ist Superkunstjahr. Allein drei regelmäßige Großveranstaltungen von Weltrang öffnen im ersten Halbjahr. Eine davon gleich zwei Mal: Die documenta 14, alle fünf Jahre ausgetragen, in Athen und Kassel. Dann die Biennale Arte Venedig, die wie der Name bereits sagt, alle zwei Jahre am Start ist und schließlich die Skulptur Projekte Münster, die alle zehn Jahre wiederkehren. Entsprechend hoch ist die Nervosität in der Künstler-Kuratoren-Artdealer-Journalisten-Community. In Venedig wurde die Spannung noch zusätzlich gesteigert, als die hochgesteckten Erwartungen an die documenta 14 enttäuscht wurden. Ihr Kurator verzichtete zwar auf Künstler, die sich im hart umkämpften Feld teurer Marktkunst bewegen. Doch nur sehr wenige der 160 Geladenen konnten mit starken Arbeiten überzeugen, die obendrein noch den politischen Auftrag erfüllten.

Wenn jetzt für die älteste und wichtigste Leistungsschau der zeitgenössischen Kunst von der künstlerische Leiterin Christine Marcelder Leitspruch „Viva Arte Viva“– es lebe die Kunst, sie lebe! – ausgegeben wird, erscheint der altbackene Ruf für viele als das notwendige Wendekommando, das die zeitgenössische Kunst zwischen Skylla und Charybdis, Markt und Agitprop hindurchzusteuern wagt.

Ist ihr das gelungen? Hat sich das Versprechen eingelöst? Oder mit der Freitagabend-Abendessen-Frage gefragt: Muss ich da jetzt hinfahren? Die Antwort kann kurz ausfallen: Ja, man muss! Allein schon wegen des Markusplatz, den Vaporettos, Palladios Erlöser-Kirche, und Carpaccios St. Georgzyklus in der Scuola degli Schiavoni. Und man weiß ja, die Hauptausstellung in den Giardini und den Arsenalen wird von vielen Satelliten umkreist, den Länderpavillons. Da lässt sich immer etwas Großartiges entdecken. Etwas, das man nie vergisst und garantiert nur hier zu sehen bekommt. Es mag so viel Fragwürdiges versammelt sein wie will.

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Kostproben gefällig? Da ist zum Beispiel der britische Pavillon wie immer in einem Kuppeltempel aus dem 19. Jahrhundert untergebracht – die große Achse im Park gerade aus hoch. Die große Dame der britischen Bildhauerei Phyllida Barlow hat ihn unter dem Titel „folly“ mit ihren wild bemalten Bauholz-, Pappmache-Objekten bis unter die Decke ausstaffiert und vor die Fassade gewaltige Kugeln auf Stangen gesteckt, damit das strenge Gefüge des Hauses einen weiteren Konterpart erfährt. Das ist mit so viel Sinn für den Raum, fürs Spiel von Form und Farbe gestaltet, dass man ihr sofort, nur einen Steinwurf vom deutschen entfernt, den ersten Preis, einen goldenen Löwen, für den schönsten Pavillon gegönnt hätte.

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Hat den der deutsche Pavillon tatsächlich verdient? Ja, sicher. Der Kuratorin Susanne Pfeffer ist ein Coup gelungen und man hat ihr und der Installation mit Performern „Faust“ der Künstlerin Anne Imhof die Türe eingerannt, was in Venedig ohne Schlange stehen nicht geht: Es indiziert den analogen Hype um Klicks und Likes auf Twitter und Instagram. Anne Imhof, erst kurz zuvor mit ihren theatralen Installationen in Basel und Berlin bekannt geworden, trifft mit ihren sediert wirkenden Akteurinnen in Slow Motion den Zeitgeist. Sie produziert mit ihren clean-reduzierten Arrangements eine Atmosphäre von Bedrohung und Ausgeliefert-sein: Das Publikum bewegt sich auf einem in den Pavillon eingezogenen gläsernen Boden, beobachtet die verloren wirkenden Gestalten im Liegen, Sitzen, Kriechen unter sich und lauscht den ab und an in den Seitenräumen angeschlagenen Gitarrenriffs. Irgendwann werden alle tranceartig eins, die Zuschauer, die Akteure, Hunde, zwei Dobermann-Junge tollen in einem eigens angebauten Außengehege. Artistenzoo mit Tiefenpeilung. Imhofs lebende Bilder inszenieren die Synthese aus nach wie vor getrennt verhandelten Gattungen und Genres, der Performance, der Installation, dem Tableau vivant auf hohem Niveau.

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Das findet man auch an anderen Orten, der Schweiz zum Beispiel. Sie hat ihren eigenen Pavillon in den Giardinis, 1952 von Bruno Giacometti, Architekt und kleiner Bruder des berühmten Bildhauers errichtet. Doch dieser hat sich zeitlebens geweigert, das Heimatland Schweiz zu vertreten. „Women of Venice“ heißt daher die wunderbare Doppelausstellung des Bildhauers Carol Bove mit sperrigen Stahlskulpturen und einer Video-Doppelprojektion der Schweiz-Amerikaner Teresa Hubbard und Alexander Birchler. Sie rekonstruieren in einer Doku-Fiction das Leben der schließlich gescheiterten Künstlerin Flora Mayo, gespielt von der deutschen Popliteratin Julia Zange, mit dem dergestalt abwesend anwesenden Alberto Giacometti.

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Gewaltig, schön, klug aber auch bedrückend war die begehbare Soundinstallation auf einer Holztribüne „ÇIN “ von Cevdet Erek im türkischen Pavillon, der in einem ehemaligen Munitionslager der Arsenale untergekommen ist. Südafrika gleich daneben, der Irak gegenüber der Accademia in der Stadt, Dänemark, Polen, und, und, und. Die Liste schöner und beeindruckender Länderbeiträge, die meisten gesellschaftspolitisch auf Höhe der Zeit ließe sich problemlos fortsetzen. Zwar gilt die Nationalstaatsdarstellung als obsolet. Doch mit 85 Ländern sind 2017 so viele vertreten wie noch nie.

Und die Hauptausstellung im großen Pavillon der Giardini und den Arsenale, der einstigen Werft der Seerepublik? Was will und was kann sie bieten? Mit 120 Künstlern, davon 103 bisher in Venedig noch nie vertreten, findet auch hier ein Überforderungsprogramm statt. „Viva Arte Viva“ versucht daher sein Anliegen, dem klandestinen Wesen des künstlerischen Schaffens näher zu kommen, in neun Abteilungen zu vermitteln, vom „Pavilion of Artists and Books“ über den der „Shamans“ bis hin zum „Dionysian Pavilion“ und den „Colors“ – Farben. Der aufmerksame Besucher merkt es rasch. Es geht dabei vor allem um performative Kunst, Partizipation und Transformation, frei nach dem Motto des Jahrhundertwendedichters Rainer Maria Rilke, „Du darfst dein Leben ändern“.

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Ging es bei den immer noch aktuell und frisch wirkenden Wandformationen aus Stoff von Franz Erhard Walther, für die er verdienter Massen ebenso einen goldenen Löwen erhielt, zuerst um die konzeptuelle Erweiterung der Skulptur aus der Teilhabe und „Handlung als Werkform“ und nicht um Mitmachkunst, tönt es nun bei den Jüngeren von überallher: Meet your artist. Get involved! So lädt gleich zu Beginn Ólafur Elíasson an lange Arbeitstische, an denen das Publikum mit Flüchtlingen bei „Green light – An artistic workshop“hübsche Ampeln herstellen und gegen eine Spende erwerben kann. Sind wir hier bei einer Völkerschau angelangt, oder handelt es sich um gelungene reziproke Inklusion?

Vergleichbaren ambivalenten Situationen wird man in Venedigs Hauptausstellung häufig ausgesetzt. Wird der Künstler als Schamane, der an seinen Narrativen webt, beschworen, mutiert das Publikum zu einem Schwarm Neophyten, der sich willig für das Gute, Wahre, Schöne einspannen lässt. Entsprechend viel wird in diesem Jahr mit Stoffen, Nadel, Faden und Garnen gearbeitet. Der Besucher näht dabei häufig nach Konzepten der 1960er-70er-Jahre wie bei dem 1938 geborenen philippinischen Künstler David Medalla oder sitzt in Geburtshöhlen wie bei dem Brasilianer Ernesto Neto oder möchte sich gleich in die bunte Wand aus überdimensionierten Wollknäulen der Amerikanerin Sheila Hicks kuscheln, die die lange Achse des Arsenale-Venue abschließt.

Das ist alles gut gemacht und angenehm präsentiert. Und ohnehin geht es bei der Biennale längst nicht mehr um kritische Reflexion der Kunst. Schon die documenta-Leitung hatte für Athen die Losung ausgegeben, man nähere sich ihrer Kunst am besten ohne Vorwissen, ungebildet und vorurteilsfrei. Die Venedig Biennale setzt dem nun noch einen obendrauf, indem sie die Berichterstattung bis zur Unmöglichkeit erschwert. Bereits der erste Pressetag war so überlaufen, dass man stundenlang vor den Pavillons stand. Was zählt ist nicht mehr der kritische Bericht, sondern der Twitterfeed mit Selfi aus der Warteschlange. Kulturjournalismus würde da nur stören.

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Er stört auch bei den beiden Groß-Kunst-Veranstaltungen am Canale Grande. Zur Biennale-Zeit fischen die Modehäuser Prada und Louis Vuitton das Publikum in zwei gegenüberliegenden Palazzi ab: Während bei Vuitton Damien Hirst gefakte Unterwasserfunde wie zu erwarten monumental kostbar präsentiert, kuratiert der Direktor der Berliner Nationalgalerie die deutschen Bild-Text-Meister Alexander Kluge und Thomas Demand in einem begehbaren Bühnenbild der Marthaler-Szonografin Anna Viebrock. Ein garantierter Hit, der ahnen lässt, wie es in der Volksbühne nach Castorf weitergehen könnte. Auch hier steht dem staunenden Publikum der Mund nur offen. Kritische Reflexion ist unerwünscht. Oder wie es in einem Wäscheladen in der Via Garibaldi zwischen den Giardini und den Arsenalen hieß: „Don`t criticize, just celebrate.“

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Der Artikel erschien zuerst in der Printausgabe des Freitag Ausgabe Nr. 20, 2017

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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