Non Academie – Die Hochschule Design und Kunst Luzern

Handwerk oder Kunst? Das hiess in der Schweiz lange Zeit salopp gesagt, solide Fummelei oder Pfusch. Die Kunsthochschulen haben sich bei der Ausbildung ihres Nachwuchses im Zweifel immer für das Erstere entschieden. Das Bachelor-Studium Kunst & Vermittlung an der Hochschule Luzern Design & Kunst, HSLU, geht neue Wege. Sein Potential zeigte sich gerade während der Corona-Krise – das Leiterduo, zwei sturmerprobte Künstler, erproben neue Konzepte, Formate und Aufgaben. Ein Einblick aus der Perspektive eines teilnehmenden Beobachters

Die derzeit beliebte Wendung, man müsse etwas «neu denken», legt den Verdacht
nahe, dass mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht gedacht wird. Im Gespräch mit den
Leitern des Bachelor-Studiengangs Kunst und Vermittlung der Hochschule Luzern
Design & Kunst, San Keller und Sebastian Utzni, fällt die akademische Floskel kein
einziges Mal. Dabei wagen sie wirklich Neues. Mit Bedacht. Ihre Zauberformel lautet
schlicht: machen!

Klingt das nicht etwas naiv? Kokett? Hört man den beiden zu, verflüchtigt sich
dieser Eindruck rasch. Der Begriff «machen» ist für «San Sebastian», wie sie den Studierenden gegenüber auftreten, auch mit den Handlungsachsen der Kulturbotschaft
des Bundes 2021–2024 kompatibel: «Teilhabe», «Gesellschaftlicher Zusammenhalt»
und «Kreation und Innovation», wenn auch – das wird schnell klar – sehr demokratisch
auf einem Luzerner Sonderweg, jenseits von Bologna-Druck, Zürcher Fashion-
Codes oder Basler Diskursmarken.


Entsprechend bunt und lebendig nimmt sich die Truppe junger Studentinnen und
Studenten aus, die im vergangenen Semester unter erschwerten Corona-Bedingungen
ihren Abschluss vorlegten. Der Zwang zur Online-Kommunikation erwies sich
dabei für viele als vorteilhaft. Selbst bei jenen, die bisher kaum mit Video-Formaten
arbeiteten, zeigte sich ein hellwaches Bewusstsein für das Medium – so bei Regula
Brassel, die zum Abschluss die beeindruckende interaktive Medienreflexion ‹Seine
braunen Locken› inszenierte, während sie sich vorher vor allem mit Installationen und
Malerei beschäftigt hatte. Auch der Performer Dustin Kenel, der in seinen Versuchsanordnungen Männer- und Geschlechterrollen eindrucksvoll und witzig thematisiert, beeindruckte mit ‹Research for Performance Piece› online ebenso wie während des ‹All Inclusive Festival›, 2020, in dem sich die Studierenden in einem Überforderungsmarathon vor dem Lockdown noch präsentieren konnten.


In einem bestimmten Kontext hellwach zu agieren und überzeugende Interventionen
herzustellen, scheint eine Stärke aller Luzerner Absolventinnen zu sein. Die
junge Künstlerin Anna von Siebenthal beispielsweise hatte leichtfüssig und von der
Stadtluzerner Öffentlichkeit vielbeachtet an der Reussbrücke eine Batterie Klopapierrollen montiert – ‹Twenty-one Pieces of Toilet Paper›, ein fröhliches Fahnenmeer, das an koprophile Freuden ebenso erinnern mochte wie an den Raubbau an der Natur. Und auch in der musealen Umgebung bestehen die Abschlussarbeiten.

Die junge Fabienne Baumann hatte sich, angeregt durch ihren jüngeren Bruder, mit
Video-Shooter-Spielen beschäftigt und dann beschlossen, eine ikonische Einstellung
im Grossformat fotorealistisch für die Ewigkeit in Acryl zu bannen, ‹Shot Down›.
Ihr gelang es, das Bild repräsentativ im Haus der Kunst Altdorf in Anton Bruhins Ausstellung ‹Hauptsache› zu platzieren – ein Belastungstest, den beide Künstler nicht
nur bestanden, sondern als gegenseitigen Gewinn verbuchen konnten.
Solide handwerkliche Tradition

Bis in die 1970er-Jahre fanden Schweizerinnen und Schweizer mit Ambitionen
zur Kunst als Beruf nur im benachbarten Ausland fundierte Ausbildungsmöglichkeiten.
Der Künstler, die Künstlerin ein Nomade, eine Nomadin. Erst nach und nach entwickelten die kantonalen Fachhochschulen Curricula, die mit europaweit seit dem 16. Jahrhundert gegründeten Akademien, in denen zunächst die klassischen Königsgattungen Malerei und Skulptur unterrichtet wurden, gleichziehen konnten. Dennoch brachte die Schweiz beachtliche Künstlerinnen und Künstler hervor wie Heinrich Füssli, Clara von Rappard, Arnold Böcklin, Ferdinand Hodler, Sophie Taeuber-Arp, Binia Bill oder in jüngerer Zeit Hans Schaerer, Markus Raetz und Miriam Cahn. Die
Aufzählung lässt sich beliebig fortsetzen.

Rückblickend lässt sich heute trefflich fragen, ob es angesichts hoher Mobilität in
einer globalisierten Welt überhaupt eines Kunststudiums im eigenen Land bedürfe, um
Künstlerin oder Künstler hervorzubringen, und wenn ja, wie der keimende Kunstwille
unterrichtet und wohin er geführt werden sollte. Die Schweiz – calvinistisch auch in
den katholischen Orten – setzte dabei vor allem und zuerst auf solide handwerkliche
Tradition und Ökonomie. Das ist an den grossen Kunsthochschulstandorten, Genf, Lausanne, Zürich, Basel, Bern, bis heute zu spüren, selbst wenn es darum geht, mit neuen Leitbildern und Lehrplänen die Kunstwelt im Elfenbeinturm täglich neu zu erfinden.

«Machen» heisst dort zuerst, eine Technik zu beherrschen, etwas vorzeigen oder aufführen zu können, sich in einem Anerkennungs- und schliesslich Verwertungskreislauf, egal, wie er definiert wird, anschlussfähig zu zeigen. Die akademisch vermittelte Kunst soll sich süffig in die Kulturwirtschaft und ihre Diskursfelder einbringen.

Das sehen San Sebastian freilich anders. Ihnen geht es primär um die künstlerische
Haltung der Studierenden, die Wahrnehmung ihres Umfeldes, ihre Positionierung
darin, aus der die unterschiedlichsten Setzungen entstehen können. Erst in diesem
Wechselspiel kann, so ihr Credo, ein Medium, ein Format beherrscht werden und
ein Ausdruck überzeugen. Bewerbungsmappen für das Bachelorstudium sind bei
ihnen nicht gefragt. Das Anliegen und die Bereitschaft zu einer künstlerischen Karriere
wird in Gesprächen eruiert, zum Herbstsemester komplett online und in einem
Chatroulette, zu dem neben den Bewerberinnen auch auswärtige Gäste als zufällige
Sparringpartner eingeladen waren. «Wir bewerben uns auch bei den Studierenden»,
kommentiert Utzni. «Durch Corona hat sich ein Online-Format mit Zukunft etabliert.»
49 Studierende sind für das Herbstsemester aufgenommen, so viel wie nie, die doppelte
Anzahl hat sich beworben.

San Sebastian haben sich in den drei Jahren ihrer Regie wider Willen Kultstatus
erworben, ihrer Skepsis gegenüber dem Vorbildkünstler zum Trotz. Ihre eigene künstlerische Arbeit – San Keller kommt im weitesten Sinne aus dem Performancebereich, Sebastian Utzni von der Konzeptkunst her – prägt ihre Aufgaben und die neuen Formate mit. San Sebastian setzen vielmehr auf Kommunikation, Austausch und Kollektiv.

Und es geht ihnen nicht um ein gefälliges Statement, das nach Kunst aussieht,
aber nicht hält, was es verspricht. Es geht um mehr: im Kontext produzieren. «Wenn
einer ein Produkt herstellt, macht er bei uns den Laden dazu», erzählt San Keller.
Das sei echte Entrepreneurship, ergänzt Utzni, «nach dem Motto: plan, act and show,
check, re-act. Wir machen!»

Zuerst veröffentlicht in Kunst Bulletin 11/2020

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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