Nachtseite

Kunstbau – Zürich hat bald das größte Museum der Schweiz. Doch die Sammlung Bührle ist heftig umstritten

Fluchtlinien der Adoration. Eingang zur Sammlung Bührle im Erweiterungsbau des Kunsthauses, Foto: Max Glauner

Zürich ist schön. Gehen wir auf den Waidberg, sehen wir auf die alte Stadt mit ihren Türmchen, gerahmt von bewaldeten Kuppen. Dahinter glänzt der See und die verschneiten Alpengipfel geben ein Zeichen, dass es noch etwas Größeres gibt als das Gewimmel dort unten. Zürich hat aber auch richtig hässliche Seiten. Die Hügelkette nach Norden ist zugleich Wohlstands- und Scheidegrenze zwischen Establishment und Prekariat. Hier Goldküste und Sonnenseite an der Limmat, dort die Nachtseite im Glatttal: Affoltern, Seebach, Oerlikon mit Hallenstadion, stupiden Wohnquartieren, Büroklötzen. Dahinter kommt der Flughafen Kloten und in Regensdorf der größte Knast im Land.

So richtig unwohl wird einem jedoch, wenn man weiß, dass hier im 20. Jahrhundert eine der größten Waffenfabriken Europas mit Filialen von Addis Abeba bis Ambarnath stand. Die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon belieferte bis in die 1970er-Jahre fidel und skrupellos mit krimineller Energie jedes Krisengebiet und Kriegstheater. Die 2-mm-Flugabwehrkanone war ihr Verkaufsschlager und kam schon im Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten gerne zum Einsatz. Der Reibach war entsprechend groß. Das hat in der Schweiz eine lange Tradition. Das Schweizer Patriziat finanzierte sich über Jahrhunderte auf allen europäischen Schlachtfeldern durch Söldner in fremden Diensten. Win-win-Situation: Die beschäftigungslosen Bauernburschen hatten ein Auskommen. Der Papst leistet sie sich noch heute. Doch das ist im kollektiven Gedächtnis, wenn überhaupt, folkloristisch präsent. Anders ist es mit der Waffenfabrik in Oerlikon bestellt.

Mythos vom neutralen Land

Mit ihr verknüpft sich unmittelbar die Frage nach den Verstrickungen der Schweiz während des NS-Regimes, Kollaboration und Zwangsarbeit in Zulieferbetrieben und stellt den bis heute von der Schweiz gepflegten Mythos vom neutralen und friedliebenden Land in Frage. Nun schwappt der Diskurs, medial befeuert, mit leichten Verschiebungen wieder in die Öffentlichkeit, verschoben in die Ökologien und Ökonomien des Kultur- und Kunstbetriebs.

Der Anlass: Am kommenden Wochenende eröffnet das Kunsthaus Zürich seinen Erweiterungsbau. Das Kunsthaus, durch die Zürcher Kunstgesellschaft getragen, dem zweitgrößten Kunstverein Europas, wird so vor Bern und Basel zum größten Museum der Schweiz.

Festvorbereitung im Veranstaltungssaal des neuen Zürcher Kunsthauses, Foto: Max Glauner

Der Erweiterungsbau soll einen Teil der umfangreichen Kunstsammlung von Emil Georg Bührle beherbergen. Bührle war bis zu seinem Tod 1956 Chef der Oerlikoner Fabrik. Der vive Waffenschmied war auch Kunstfreund, zählte eine der erlesensten Sammlungen französischer Impressionisten sein eigen. 1890 in Pforzheim kleinbürgerlich geboren, heiratete er in eine Magdeburger Fabrikantenfamilie ein. Diese machte ihn 1923 zum Leiter der aufgekauften Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, WO. Als Weltkriegsteilnehmer und Kommandant der Stabswache des Freikorps Roeder während der Niederschlagung der Novemberrevolution 1918 – 19 hatte sich der ehemalige Student der Philologie offensichtlich so hervorgetan, dass man ihm zutraute, den maroden Betrieb auf Kriegswirtschaft umzubauen. Somit verfolgte die Tätigkeit Bührles von Anfang an unsaubere Geschäfte. Denn mit der WO sollten die nach dem Versailler Vertrag für das Deutsche Reich festgelegten Kapazitäten der Waffenproduktion umgangen werden. Noch der Sohn Dieter umging nach dem Tod des Patriarchen 1956 mit krimineller Energie die Ausfuhrgesetze des Bundesrats, um sein Kriegsmaterial an den Mann zu bringen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam Bührle zunächst auf eine Schwarze Liste, doch mit Beginn des Kalten Krieges verkauften sich die Flaks aus der Zürcher Nachtseite wieder prächtig. Sie ernährten zu Hochzeiten über 31.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Zürich war schon mutiger

Was den Erweiterungsbau selbst betrifft: In den 1970er-Jahren traute sich Zürich diesbezüglich noch was. Zur dritten Erweiterung des Kunsthauses samt Theaterneubau schlug damals Jørn Utzon, Architekt des Opernhauses von Sidney, eine kühne Überbauung des Heimplatzes vor. Für die vierte Erweiterung des Kunsthauses von 2008 bis 2021 waren solche Würfe nicht mehr gefragt. Gediegen-gefasst sollte es daherkommen. So zeichnet sich der Kubus von David Chipperfield durch eine geschlossene Kalkstein-Lammellenfront aus, deren Fensteröffnungen und der messingglänzende Haupteingang, leicht aus der Mitte verschoben, sich kaum hervorheben wollen. Eine auffällige Dominante fehlt. Die Horizontalgliederung nimmt die Proportionen italienischer Palazzi auf. Auch im Inneren gibt sich der Bau nobel. Die Zürcher konnten ihn mit einer Glocken-Soundinstallation von William Forsythe bereits zu Jahresanfang, noch ohne Bilder, begehen. Ein durch die Mittelachse des Baus gezogener monumentaler Lichthof erschließt die Ausstellungssäle. Doch nichts erschließt das Innen und Außen. Der Bau schottet sich von der Öffentlichkeit ab. Metaphern wie Schuhschachtel, Kunstpalazzo, Pharaonengrab drängen sich auf. Kenotaph, eine antike Memorialarchitektur ohne Überreste des oder der Verstorbenen, wäre der wohl treffendere Begriff.

Um zu verstehen, welchen Rang Bührle in Zürich hat, ist es hilfreich, weiter zurückzublicken: Die Zwingli-Stadt tat sich nach der Reformation mit Kunst und Lustbarkeiten schwer. Im Gegensatz zu Basel, das den Bildersturm in den Kirchen clever nutzte, um sich die feinsten Stücke zu sichern. Mit dem Amerbachschen Kabinett, 1661 von der Stadt aufgekauft, kann sich die Stadt am Rhein rühmen, das erste bürgerliche Museum der Welt gegründet zu haben. In Zürich hingegen sah es düster aus. Erst 1910 stand ein reformklassizistisches Gebäude von Karl Moser auf einem ehemaligen Friedhof – Georg Büchners sterbliche Überreste lagen dort begraben. Es bestand also ein künstlerisch-museales Vakuum, das gefüllt werden konnte. Der 1937 eingebürgerte und zu Lebzeiten reichste Schweizer Emil Bührle nutzte das Potenzial. Sein Mäzenatentum deckelte seinen Ruf als neureicher Waffenschieber und punktete beim Stadtzürcher Patriziat.

Es ist bezeichnend, dass Bührle zwar einen ersten Erweiterungsbau für das Kunstmuseum bezahlte – der 1958 eröffnete brutalistische Riegel ging auf einen Wettbewerb 1944, also mitten im Krieg, zurück –, seine Sammlung dort aber nie zugänglich machte. Er zeigte sie, wie die nach seinem Tod durch die Erben gegründete Stiftung, in einem Privathaus in der Zollikerstraße. Der Kunstgesellschaft ermöglichte er über den Baufonds den Ankauf nur eines einzigen Kunstwerks, 1947, als er gerade als einstiger Lieferant des Deutschen Reiches von den Schwarzen Listen der Alliierten gestrichen worden war: einen Werkstattguss von August Rodins Höllentor, an dem der Bildhauer seit 1880 zeitlebens gearbeitet hatte. Pikanter Hintergrund: Es war über die Vermittlung des NS-Großbildhauers Arno Breker wahrscheinlich durch Alfred Bormann direkt von Hitler bei der Gießerei Rudier für das Linzer Führer-Museum bestellt worden. Bestellt und nicht abgeholt wurde es von den Alliierten requiriert. Nach einer Zürcher Rodin-Ausstellung erwarb es Bührle zum Schnäppchenpreis.

Die genaue Geschichte des Höllentors ist bis heute ungeklärt. Im Bild gesprochen: Würde es geöffnet, kämen die Stadtzürcher Kulturoberen wieder einmal in Teufels Küche. War Bührle der Schöngeist und selbstlose Kunstliebhaber oder der gewissenlose Kriegsgewinnler, der sich mit seiner Kunstsammlung ein Pharaonengrab baute, dem die Erben nun mit dem Chipperfield-Kenotaph am Zürcher Heimplatz Sichtbarkeit verschaffen?

Für einen Mann von Bührles Kaliber gehörte Kunst zum guten Ton. Konventionell im Zeitgeschmack, Altmeister und französische Impressionisten, sammelte er zusammen, was der Markt hergab. Das war ab 1933 das, was Migranten aus Deutschland schnell verkaufen oder zurücklassen mussten, um ihre Reise nach Übersee zu finanzieren, und was auch nach 1945 auf den Markt kam. Nach Urteilen Schweizer Gerichte musste Bührle zwischen 1947 und 1948 dreizehn Gemälde an die jüdischen Vorbesitzer zurückgeben. Neun kaufte er retour. Raub- oder Beutekunst aus der Nazizeit werden in Zürich also nicht zu sehen sein. Dennoch befällt uns Ratlosigkeit, wenn es um den Zusammenhang zwischen Industriekapital aus Waffengeschäften, Zwangsarbeit, latentem Antisemitismus und schöner Kunst geht.

Um hier Klarheit zu schaffen, hatte die Stadt im Verein mit der Kunsthausgesellschaft und der Bührle-Stiftung bei der Universität Zürich eine Studie in Auftrag gegeben: Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus – Die Entstehung der Sammlung Bührle im historischen Kontext. Rodins Höllentor kam dabei ebenso wenig ins Visier wie die Interessen und Machtverhältnisse zwischen Tourismus, Stadtmarketing, Kulturindustrie und familiärer Zeremonialkultur, die bis heute den Namen Bührle stiftungsgetragen über die Kunstsammlung wie eine Monstranz vor sich herträgt. Feierstimmung kommt daher in Zürich kaum auf. Weder der Charakter, die Karriere noch der Kunstgeschmack Bührles können heute Vorbild sein.

Die Zivilgesellschaft Zürichs war schon einmal mutiger. Sie lehnte 2001 in einem Volksentscheid das Angebot Friedrich Christian Flicks ab, seine Sammlung dauerhaft an der Limmat unterzubringen.

Foto: Max Glauner

Zuerst veröffentlicht in der Freitag, Ausgabe 40 2021

Über Max_Glauner

Lecturer, Researcher, Autor & Cultural Journalist Zürich | Berlin
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